Sonntag, 3. Juli 2016

Ein ganzes halbes Jahr - Kinofilm (nach dem Bestseller von Jojo Moyes)

Ein tragischer Liebesfilm der glücklich macht

  • Regie: Thea Sharrock
  • Drehbuch: Jojo Moyes
  • Produktionsland: USA
  • Erschienen: 23.Juni 2016
  • Länge: 110 Minuten 
  • FSK: 12 Jahre

Inhalt

William Traynor ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, er stammt aus einer reichen Familie, hat viele Freunde und eine glorreiche Zukunft vor sich - Luisa Clark ist so ziemlich das Gegenteil davon, sie lebt in ärmlichen Verhältnissen im Arbeiterviertel einer englischen Kleinstadt, braucht dringend einen neuen Job um ihre Eltern zu unterstützen und hat einen außergewöhnlich peinlichen Modegeschmack. Das Schicksal bringt die beiden zusammen als ein Verkehrsunfall Will eines Tages zum Pflegefall macht. Er wird Tetraplegiker, ist vom Hals abwärts gelähmt und kehrt in seine alte Heimatstadt zum Anwesen seiner Eltern zurück. Der früher so aktive und lebensfrohe junge Mann kann sich nicht mit seinem Schicksal abfinden, sieht keinen Sinn mehr in seinem Dasein und fällt in eine tiefe Depression. Um ihn aufzuheitern und von Suizidversuchen abzulenken stellen seine Eltern Luisa Clark ein, sie soll eine Verbindung zu ihm aufbauen und ihm neuen Lebensmut geben. Zu Beginn ihrer Arbeit ist Will noch ein ziemlicher Unsympath ihr gegenüber, doch im Laufe der Zeit sind es Luisas Charme, ausgefallener Klamottenstil und fröhliche Art, die Wills harte Schale aufbrechen und die beiden zu Freunden werden lassen. Doch was Luisa lange nicht weiß: Will hat vor, seinem Leben mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz in absehbarer Zeit ein Ende zu setzen. Luisa bleiben noch sechs Monate um ihn von seiner Entscheidung abzubringen; dieses halbe Jahr nutzt sie, um mit Will zu reisen, zu lachen und zu leben. Beide verlieben sich ineinander, und es ist letztendlich vielmehr Will, der Luisa das Leben lehrt und ihr die Welt hinter der Kleinstadt zeigt. Er ermuntert sie dazu, ihr Potenzial zu nutzen und ihre Zukunft nicht zu vergeuden. Und auch wenn Luisa Will nicht von seinem Vorhaben abbringen kann, hat sie ihre Begegnung mit Will verändert...
Ein herzzerreißender und tragikkomischer Liebesfilm, der die typischen Klischees einer Romantikschnulze nicht bedient, sondern trotz des dramatischen Ausgangs vielmehr eine Geschichte über das Leben als über den Tod erzählt und darüber hinaus die Debatte über aktive Sterbehilfe neu anregt.



Persönliche Meinung

Die Anforderungen an den Film nach dem Erfolg der Buchvorlage waren hoch - und wurden dank der wunderbaren Hauptdarsteller und des Drehbuchs der Autorin erfüllt. Emilia Clarke und Sam Clafin harmonisieren außergewöhnlich gut miteinander und vermitteln die emotionalen Szenen authentisch und vollends überzeugend.  Besonders Clarke überzeigt durch ihr Mienenspiel, ihre Augenbrauen machen ihr Gesicht zu einer Leinwand der Emotionen.
Die Darstellung der englischen Kleinstadt, Louisas skurrile Outfits und ihre Reisen mit Will decken sich genau mit der Buchvorlage. Der Film setzt die richtigen Akzente, verschont den Zuschauer aber - wie in der Literaturvorlage- mit der finalen Sterbeszene Wills. Die letzte Szene der beiden ist die ihre Versöhnung auf Wills Sterbebett, zwar mit einer großen Portion Traurigkeit, die aber durch den typischen Sarkasmus der beiden erträglich wird. Louisas Reise nach Paris bildet den perfekten Abschluss des Films, sie erfüllt damit den Wunsch Wills, ihre Träume zu verwirklichen und ihr Leben zu genießen. Damit ist "Ein ganzes halbes Jahr" ein wunderbares tragikromantisches Plädoyer für das Leben und dafür dass Liebe keine Grenzen kennt - nur leider kann auch sie die unbändige Sehnsucht nach dem Tod nicht überwinden....



Donnerstag, 23. Juni 2016

Brexit - Remain or Leave?

Der heutige Tag könnte einen Wendepunkt in der Geschichte Europas markieren, wenn die Briten für den Austritt aus der EU stimmen. Welche Konsequenzen müssten die Staatengemeinschaft und Großbritannien befürchten, und welche Argumente nutzen die Befürworter? 

http://www.firstlife.de/remain-or-leave-das-ist-hier-die-frage/

Samstag, 18. Juni 2016

Lucia di Lammermoor - Oper im Staatenhaus Köln Deutz


  • Premiere: 12.Juni 2016
  • Inszenierung: Eva-Maria Höckmayr
  • Musikalische Leitung: Eun Sun Kim
  • Enrico: Boaz Daniel/ Florian Sempey
  • Lucia: Olesya Golovneva
  • Edgardo: Atalla Ayan/ Jeongki Cho
  • Arturo: Taejun Sun

Ein Zwist zwischen zwei Familienclans, eine hoffnungslose Liebe, eine Intrige und kein happy End - so könnte man die Geschichte von Lucia di Lammermoor kurz beschreiben. Donizettis Oper spielt im Schottland des ausgehenden 16.Jahrhunderts vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten. Die mächtige Dynastie der der Ashtons hat die Familie der Ravenswoods vertrieben und damit eine Heirat zwischen Lucia und Edgardo unmöglich gemacht. Als Lucias herrschsüchtiger Bruder Enrico von einem Verhältnis zwischen den beiden erfährt, kommt die Tragödie in Gang: Um seine Machtposition zu sichern, arrangiert er für eine Zwangsheirat dem einflussreichen Arturo. Es bedarf erst eines gefälschten Briefs von Lucia damit Edgardo von seiner Liebe entsagt, und seinen Schwur der ewigen Treue zu Lucia bricht. Die heiratet ihrem Bruder untergeben Arturo und verzweifelt an ihrem Schicksal. Sie wird wahnsinnig, tötet Arturo und begeht anschließend gemeinsam mit Enrico Selbstmord. Daraufhin schlitzt sich auch Edgardo die Kehle auf und stirbt mit der Hoffnung im Grab die ersehnte Vereinigung mit Lucia zu finden.
Die Oper stammt aus dem Jahr 1835 und dem aufmerksamen Zuschauer werden wahrscheinlich gewisse Parallelen zu Werken von  Schiller und Shakespeare aufgefallen sein: Die Intrige aus Kabale und Liebe und der Selbstmord zweier Liebenden die sich im Tod vereinen. Ob Gaetano Donizetti seine Inspiration hier gefunden hat..?
Die Kölner Inszenierung allerdings bringt einige Veränderungen der Originalfassung mit sich. Regisseurin Eva Maria Höckmayr verändert die gesamte Rahmenhandlung indem sie die Geschichte in den Kontext des Dritte Reichs versetzt. Die jüdische Familie Edgardos wird von den arischen Ashtons verraten und muss fliehen.  Die Darstellung dieses dramatischen Schicksals gelingt allerdings durch das schwer nachvollziehbare Auftreten einer Flüchtlingsfamilie eher mäßig und wirkt wie aus dem Zusammenhang gerissen. Auch der Einsatz einiger Nazi Offiziere in der ersten Szene des Stücks ist ohne Hintergrundwissen über die Inszenierung kaum zu verstehen. Als Kulisse dient ein Plattenbaubungalo ausgestattet mit einem großen Fenster, das den Blick in das Schlafzimmer Lucias frei macht und mit Spezialeffekten verdunkelt oder transparent gemacht werden kann. Trotz des Aufgebots an Spezialeffekten tötet Lucia ihren Ehemann nur mit einer dürftigen Nachttischlampe - die Mordszene wird dadurch leider in ihrer Dramatik entschärft. Daneben lenkt der Einsatz an Hochzeitsgästen in pompöser Kleidung vom eigentlichen Geschehen ab und verbraucht fast die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Sowohl Atalla Ayan als Edgardo als auch die weibliche Hauptrolle Olesya Golovneva beweisen vokale Höchstleistungen, allerdings ist die instrumentale Begleitung durch das Gürzenich-Orchester oft gehetzt und hektisch, hier vermisst man ein weiches Instrument wie ein Klavier vergeblich.
Trotzdem zeigt das Ensemble  in seiner zweiten Aufführung der italienischen Kultoper im Ausweichquartier der Kölner Oper eine tolle Leistung; das Publikum zeigt seine Begeisterung in anhaltendem Applaus am Ende der Vorstellung.
Aus der Kreuzung aus Kabale und Liebe und Romeo und Julia lässt Donizetti eine dramatischen Familienfehde um Macht und Einfluss auf Kosten der Leben zweier Liebenden entsteht. Durch das Versetzen des Stück ins 20.Jahrhundert vor dem Hintergrund der Nazi-Herrschaft bekommt es eine nahbare Grundlage - ein gut gesetzter Akzent der Regisseurin.
Fazit: Eine gelungene Inszenierung, wenn auch in Punkto instrumentale Begleitung und Bühnenbau ausbaufähig.

Weitere Informationen & Tickets: hier

Samstag, 4. Juni 2016

Die Armenien-Resolution ist am Donnerstag im Bundestag verabschiedet worden, aber was steckt eigentlich dahinter? Eine Übersicht über den historischen Hintergrund und die aktuellen Streitfragen: http://www.firstlife.de/die-armenien-resolution-provokation-oder-ueberfaellige-anerkennung/
Über ein Feedback unter dem Beitrag auf www.firstlife.de würde ich mich freuen 
Viele Grüße und ein schönes Wochenende!

Mittwoch, 1. Juni 2016

Die weiteren Aussichten - Robert Seethaler (Rezension)


  • Autor: Robert Seethaler
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 3.März 2010
  • Seitenanzahl: 320
  • Preis: 8,95 Euro (Taschenbuch)
  • ISBN: 978-3-442-47172-0

Über den Autor

Robert Seethaler (*1966 in Wien) ist ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller und Drehbuchautor. Mit seinem ersten Roman "Die Biene und der Kurt" ist sein erster Roman wurde er mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. Er besuchte die Schauspielschule in Wien und wirkte in einer Vielzahl von Produktionen für Kino und Fernsehen sowie an Theatern in Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg mit.

Inhalt

Das Glück ist schon ein komischer Zeitgenosse, erst lässt es sich 27 Jahre lang nicht blicken und dann verirrt es sich auf einem blauen Klapprad auf eine einsame Landstraße....
Herbert Szevko führt ein einfaches Leben: er ist Ende zwanzig, Epileptiker, ziemlich schräg, betreibt mit seiner Mutter eine Tankstelle irgendwo im Nirgendwo und besitzt einen Fisch namens Georg. Als eines Tages eine dicke Frau mit einem Haarschnitt der eigentlich keiner ist und viel zu engen Hosen auf einem kleinen Fahrrad an den Zapfsäulen vorbeiradelt, verliert Herbert sein Herz: Hilde Matusovsky ist die Putzfrau des örtlichen Schwimmbades und eigentlich so unspektakulär wie Herbert selbst. Bald schon zieht Hilde zu Herbert und der Mutter in die Wohnung oberhalb der Tankstelle ein, aber Herbert ist ungeübt in der Liebe und Hilde zu lebenshungrig um ein Dasein in Herberts Kinderzimmer und den Schlagersendungen der Mutter zu fristen. Aber auch Frau Szevko will ihren Sohn nicht einfach so an eine dahergeradelte Frau mit wüster Frisur und dicken Waden verlieren, eigentlich an gar niemanden auf der Welt. Doch während die sterbenskrank nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wird, kommt es zwischen Hilde, Herbert und dem Dorfraudi Greiner zu einer gewaltigen Auseinandersetzung bei der Herbert den Greiner auf offener Landstraße erschlägt. Hilde und Herbert beschließen daraufhin zu türmen, entführen die Mutter aus dem Krankenhaus und begeben sich auf eine wilde Verfolgungsjagd durch Stadt, Land und Fluss mit einem gestohlenen Rettungswagen und Goldfisch Georg im Marmeladenglas.
Nur die Mutter ist schwach, das Verstecken anstrengend und dann sieht Herbert plötzlich die Schatten auf ihrem Gesicht....

Persönliche Meinung

Das Glück kommt auf dem Fahrrad und putzt die Wände im Schwimmbad - Robert Seethalers Geschichte ist absurd, komisch aber absolut liebenswürdig. Seethaler zeichnet seine Figuren einmalig charakterstark und authentisch. Herbert ist eigentlich ein typischer Psychopath, in sich gekehrt, einsam und mit wüsten Gedanken. Mit der Mutter sind ihm die Gesprächsthemen längst ausgegangen und Georg der Fisch ist sein einziger sozialer Kontakt. Das Leben ist Herbert zu eng geworden, denn eigentlich hasst er die Tankstelle, die Erinnerungen und die ständige Anwesenheit seiner Mutter. Aber erst als Hilde daherradelt, eine wahrscheinlich ziemlich unästhetische und durchschnittliche Person, schöpft er Lebensmut und nähert sich ihr in einer urkomischen und bemitleidenswerten Hilflosigkeit. Doch Hilde erwidert die Liebe, erträgt seine Eigenheiten und bricht mit ihm in das große Abenteuer auf, um das Glück zu suchen. Denn das wohnt nicht in der Tankstelle oder in dem kleinen Dorf an der Landstraße - es wohnt in der Ferne und man muss ihm hinterher. Ihre Flucht entpuppt sich schnell als ein großes Abenteuer angetrieben vom Drang nach Leben.
"Die weiteren Aussichten" erinnert in Absurdität, Eigenheit der Figuren und Ausgang an Seethalers ersten Roman "Die Biene und der Kurt", eine schrullige und kurzweilige Road Story über die Liebe in ihrer merkwürdigsten Form.



Hier geht es zu meiner Rezension von Seethalers "Die Biene und Kurt"
Hier geht es zu meiner Rezension von Seethalers "Der Trafikant"
Hier geht zu meinem Besuch einer lit.Cologne-Lesung mit Robert Seethaler

Montag, 2. Mai 2016

Kooperation mit Charssblog - Stabat Mater (Tiziano Scarpa)

Endlich ist es soweit: heute veröffentliche ich nicht meine eigene Rezension, sondern die von Charlotte von https://charlssblog.wordpress.com/. Sie schreibt tolle Texte und interessiert sich für Literatur, Kultur und Poesie. Ein Besuch bei ihr lohnt sich auf jeden Fall!
Im Gegenzug postet sie einen Artikel von mir zu Erich Maria Remarques "Die Nacht von Lissabon". 

Stabat mater handelt von einem sechzehnjährigen Mädchen, Cecilia, das in einem Waisenhaus im Venedig des 18. Jahrhunderts lebt. Sie ist dort aufgewachsen, ohne Mutter und ohne das Wissen, eine Mutter zu haben.
Als Kind sucht sie die Dunkelheit, auch wenn sie sie fürchtet. Sie sitzt auf einer Treppe im Waisenhaus und verbringt die Nacht mit Lauschen und Denken, bis sie eines Tages beginnt, Briefe an ihre unbekannte Mutter zu schreiben. Das Buch besteht aus ebenjenen Briefen. In ihnen beschreibt sie ihr Leben - wie sie als Kind voller Schrecken eine heimliche Geburt beobachtet hat, ohne zu wissen was vor sich geht – , die anderen Mädchen im Waisenhaus und ihre Träume, die guten wie die schlechten.
Für mich war es anfangs sehr schwer, mich auf diesen Schreibstil einzulassen. Es war sehr zähflüssig und so erst einmal stockend. Doch wenn man sich genug entspannt und akzeptiert, wie man die Handlung direkt von Cecilia erfährt ist es das Beste, was dieser Geschichte passieren konnte. Es war eine kleine Offenbarung für mich.
Durch die Art des Erzählens in Briefform (wobei diese Briefe fast eher einem Tagebuch ähneln)baut sich eine unheimliche, beinahe intime Nähe zur Protagonistin auf. Man hat das Gefühl direkt in ihren Kopf sehen zu können… oder noch dichter, dort neben ihr zu sitzen und zu beobachten, wie sich ihre Gedanken Formen.
Ihre Träume sind geprägt von Angst und Tod, zeichnen oft erschreckende Bilder der Hoffnungslosigkeit. Doch sie berichtet auch von der Musik, ihrer Neugierde und ihren Hoffnungen. Die Geschichte strahlt eine unendliche Hoffnung an die Zukunft aus, ohne jemals zu vergessen, dass das Letzte dort der Tod sein wird. Er scheint so allgegenwärtig, wie die Musik in dem Waisenhaus.
„Ich habe den Arm ausgestreckt, berühre die Bretter des Betts über mir, breche einen kleinen Span ab, kratze an der Rauen Oberfläche, als sich ein Frauenkopf über die Bettkante beugt, anstelle der Haare sind da viele, viele schwarze Schlangen.
                „Was ist, hast du mich gerufen?“
                „Wer bist du?“, frage ich.
                „Ich bin dein Tod“, sagt der Kopf mit den Schlangenhaaren. Die Stimme ist freundlich.
                „Würdest du mir Gesellschaft leisten?“, frage ich.“
So unterhält sich Cecilia mit ihren innersten Gedanken, die ihren Tod verkörpern. All diese Vorstellungen, Erfahrungen und Emotionen vermittelt Cecilia direkt über die Briefe, als könne man sie in diesem Augenblick denken hören und so diese Zeit unmittelbar miterleben. Man darf live dabei sein, wenn Cecilia das erste Mal die Stadt sieht, wenn sie bemerkt, wie anders die schlafenden Mädchen doch als die wachen sind, wenn sie ihr alltägliches Leben führt, wenn sie sich nachts Gedanken über den Tod und das Leben macht und vor allem, wenn sie Vivaldi trifft. Bereits vor dieser Begegnung ist Cecilia eine talentierte und begeisterte Violinistin. Die Musik gibt ihr Halt, doch der Komponist des Waisenhauses ist alt und ideenlos.
„Lange Zeit war Musik für mich gleichbedeutend mit Don Giulio, Musik, das war Don Giulio, nichts anderes, ich wusste nicht einmal, dass es Musik von anderen Leuten gab, Musik, das war etwas, das gänzlich in jenem alten Körper verschlossen war […] Wir Instrumentalistinnen sind fast alle noch jung, wir lassen unser junges Herzblut in diese altersschwache Musik fließen. […] Die Musik zerreißt, wenn wir sie spielen. […] Seine Musik zwingt uns, alt zu sein. […] Wir spielen aus der Höhe, von oben herunter, auf den Emporen zu beiden Seiten der Kirche, einige Meter vom Boden entfernt, denn die Musik fällt schwer nach unten. Wir gießen sie über den Köpfen derjenigen aus, die uns zu hören gekommen sind. Wir tauchen sie ein, ersticken sie mit unserer Musik.“
Vivaldi hingegen tritt strahlend in ihr Leben. Er bringt neue, schwebende Musik… durch Vivaldi entdeckt Cecilia nicht nur die Musik ganz neu, sondern auch sich selbst. Sie stellt alte Gewohnheiten in Frage.
In erster Linie empfinde ich dieses Buch als eines über das Erwachsenwerden, das Loskommen vom Bekannten, das Wagen von Neuem. Es ist auch ein Buch über die Angst vor dem Unbekannten, vor der Zukunft, vor der Nacht.
„Frau Mutter, zur Abwechslung habe ich heute Nacht wieder einmal mit aufgerissenen Augen an die Decke gestarrt. […] Wenn die Angst kommt, wie fast jede Nacht, darf man keinesfalls im Bett bleiben. Also komme ich hierher, um euch zu besuchen.“

Und doch, trotz ihrer eigenen Angst kehrt Cecilia immer wieder in ihre vertraute, beängstigende Dunkelheit zurück, sucht die allzu bekannte Furcht ständig aufs Neue auf und wagt letztendlich sogar den Sprung ins Unbekannte, wodurch man selbst auch alles in Frage zu stellen lernt.
Für mich waren die Bezüge zu Vivaldi besonders schön. Am Offensichtlichsten ist da der Titel. Doch diese Hommage an Vivaldi nimmt nicht nur Bezug zu Vivaldis wunderbarer Vertonung des Gedichts „Stabat mater“, sondern auch zu Cecilias fehlender Mutter
Es gibt eine Szene, in der Cecilia den jüngeren Waisenkindern Geigenunterricht gibt. Um sie für die Musik zu begeistern lässt sie sie dort die verschiedenen Vogelstimmen nachahmen. Vivaldi hört und später in seiner Musik als das berühmte Motiv des Frühlings in „Die vier Jahreszeiten“ verarbeitet. Er inspiriert Cecilia. Er lässt sie zu musikgewordenen Gedanken werden, zu musikgewordenem Unwetter, Donner, Blitz, zu den Vögeln, zu Hageln, Hitze und Eis. Er fordert die jungen Musikerinnen heraus und stellt sie in Frage, ganz besonders Cecilia. Er zwingt sie zu einem inneren Aufbruch, zur Bewegung. Und so lässt das Buch auch den Leser zurück, mit Fragen nach der Zukunft, der eigenen und Cecilias. Mit dem schmerzlichen Gefühl des Verlusts, ob dieses so abrupten Endes. Es lässt in einem ein Gefühl der Leere zurück, die wünscht ausgefüllt zu werden… mit Musik und mit Leben.


Mittwoch, 27. April 2016

Hakuna Matabi - ohne Sorgen durch die Prüfungen?!



Das Abitur ist eine echte Herausforderung - aber wie viel Stress muss sein? Wie geht man am besten mit dem Leistungsdruck um?
Woran liegt es, dass der eine in Panik verfällt und ein anderer die Prüfungen völlig entspannt angeht?


http://www.firstlife.de/hakuna-matabi-ohne-sorgen-durch-die-pruefungen/

Cheyenne vom Bahnhof Zoo

Im letzten Monat habe ich ein paar Tage in Berlin verbracht, und ein weiteres Seminar der Medienwerkstatt der Konrad-Adenauer-Stiftung besucht.
Das Thema: "TV"- die Aufgabe: eigene Beiträge produzieren, Interviews führen, die Stadt erkunden.

Zusammen mit zwei Teilnehmerinnen, die in der Zeit auch Freundinnen geworden sind, haben ich eine Obdachlose am Bahnhof Zoologischer Garten begleitet. Dabei stand für uns der Ruf des Bahnhofs im Vordergrund: inwiefern spielt das Schicksal der Christiane F. dort heute noch eine Rolle?

Was dabei heraus gekommen ist, könnt ihr hier sehen:


Über ein Feedback würde ich mich sehr freuen :)

Dienstag, 29. März 2016

Über Sinti und Roma auf der lit.Cologne

Sängerin Marianne Rosenberg und Anwältin Nizaquete Bislimi - zwei Frauen, die eine kulturelle Herkunft teilen. Über das Leben von Sinti und Roma in Deutschland erzählten sie auf ihrer Lesung im Rahmen der lit.Cologne!

http://www.firstlife.de/ihr-gehoert-zu-uns-marianne-rosenberg-und-nizaquete-bislimi-auf-der-lit-cologne/

Montag, 21. März 2016

Er ist wieder da - lit.Cologne macht "Mein Kampf" zum Thema

Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellen wir uns erneut die Frage: Wie gehen wir mit Hitlers Erbe um? Seit diesem Jahr gibt es die kommentierte Edition von "Mein Kampf" frei in den Buchhandlungen zu kaufen. Über die Zugänge zum einstigen Tabu wurde auch auf dem Kölner Literaturfest lit.Cologne diskutiert!

Mein Beitrag zu dieser Veranstaltung habe ich diesmal Hier veröffentlicht, ich hoffe, ich bekomme trotzdem ein paar Leser und vielleicht auch ein kleines Feedback!



Dienstag, 23. Februar 2016

Deadpool - Kinofilm

Actionfilm mit Rumpelstilzchencharakter - mit viel Blut und flachem Witz zum Kinoerfolg


  • Regie: Tim Miller
  • Drehbuch: Rhett Reese & Paul Wernick
  • Produktionsland: USA
  • Erschienen: 2016
  • Länge: 109 Minuten
  • FSK: 16 Jahre

Handlung

Deadpool, der etwas andere Superheld - nicht nur der flache Humor und die vielen blutigen Gemetzel stechen bei dem Film heraus, sondern auch die Geschichte des Helden: Auftragskiller Wade ist an Krebs erkrankt und bekommt das Angebot, sich zum Superhelden transformieren zu lassen. Wade ist unsterblich in die frühere Prostituierte Vanessa verliebt, und unterzieht sich für sie dem Superheldenprogramm. Das aber verläuft anders als erwartet, er wird gefoltert und gequält bis er letztendlich neben seinen neuen Kräfte auch eine völlig deformierte und maskenähnliche Fratze erhält. Seiner Freundin traut er sich so nicht mehr unter die Augen, und verfolgt den Gedanken, das Gegenmittel für sein verzerrtes Gesicht zu finden. Es beginnt eine wilde Jagd auf seinen Gegenspieler Ajax (der eigentlich Francis heißt) mit viel Action, Blut und Superheldenpower.
Letztendlich wird Vanessa in einer spektakulären Rettungsaktion von Deadpool und seinen Superheldenverbündeten aus den Fängen der Schurken gerettet, und das Paar ist wieder vereint. Die Liebe siegt also über Wades Äußeres, und Fiesling Ajax kann das Handwerk gelegt werden.

Persönliche Meinung

In den USA liegt die Altersbeschränkung für den Streifen bei 18 Jahren, und das zu Recht.
Kunstblut war wohl gerade im Angebot, an Gemetzel und Gemorde wurde auch nicht gespart. Genauso wenig wie an vulgären und flachen Witzen.
Etwas befremdlich erschien, dass sich Deadpool ständig zum Publikum wendet, und seine eigene Geschichte selbst erzählt. Auch der Hintergrund der ständig von Ajax gestellten Frage: "Wie ist mein Name?" hat sich mir nicht ganz erschlossen, und mich eher an Grimms Rumpelstilzchen erinnert. Mein allererster Superheldenfilm verlief anders als erwartet und ich werde wahrscheinlich nicht zum neuen Marvel-Fan oder X-Men-Groupie. Trotzdem habe ich mit diesem Film meinen Horizont was Kinohits angeht erweitert, denn Superheldenkenntnisse sollte man heutzutage schließlich vorzuweisen haben.


Montag, 8. Februar 2016

Tagebücher des Victor Klemperer - Nachwort

1933 - 1945: 12 Jahre, 6 Bücher und ein bedeutendes Stück deutscher Geschichte. Eine Reise durch das dunkelste Kapitel der deutschen Vergangenheit an der Seite eines Menschen, der die Bedingungen dieser Zeit beispielhaft miterleben musste. Ein Tagebuch, das Welten öffnet und Bewusstsein schafft.
Victor Klemperer ist Professor, Philologe, bedeutender Intellektueller der Zeit, vor allem aber ist er Jude. Er notiert seine Erlebnisse bald schon mit dem Ziel der späteren Veröffentlichung, ist sich der Bedeutung seiner Aufzeichnungen schnell bewusst. Er riskiert damit nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das derer die er in seinen Notizen erwähnt. Aber es ist gerade das Schreiben und die Leidenschaft für Literatur, die ihn am Leben hält. Er lebt weil er schreibt, und er schreibt, weil er lebt.

Klemperer verliert durch die Nazis sein Hab und Gut, den Beruf, ja, auch seien Würde - nicht aber seine Liebe zur Sprache. Er sieht sich in der Verantwortung, das was er erlebt an die Nachwelt weiterzugeben, notiert aufmerksam und fast akribisch die Eigenheiten der Zeit, die Sprache und Propaganda der Nazis und seine Nöte. Von den öffentlichen Beleidigungen abgesehen, wird ihm erst sein Auto, dann sein Haus, und letztlich sein Selbstbestimmungsrecht entzogen. Er lebt in Judenhäusern, leidet Hunger, arbeitet in Fabriken und flüchtet nach der völligen Zerstörung Dresdens nach Süddeutschland. Das Tagebuch von 1945 ist, auch wenn es nur die Monate Januar bis Juni umfasst, das packendste, ergreifendste und spannendste Buch: die Flucht scheint unwirklich wie ein Actionfilm, gar utopisch für meine Vorstellungskraft. Klemperer, der alte gebrechliche Mann rafft all seine Kräfte zusammen und marschiert Kilometer für Kilometer in eine ungewisse Zukunft. Die Angst um sein Tagebuch scheint dabei zeitweise größer als die um sein Leben.

Klemperer schreibt mit der Feder eines Philologen, d.h. anspruchsvoll, herausfordernd und wundervoll literarisch.
Seine Tagebücher aus dem dritten Reich sollen für alle Zeit mahnend für die Umstände des Terrors stehen, und an das Durchhaltevermögen eines einzelnen stellvertretend für das vieler erinnern.
Nach Kriegsende traten Eva und Victor Klemperer der KPD bei und engagierten sich beim Aufbau der DDR. Von 1947 bis 1960 lehrte er an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Jahr 1950 trat er als Abgeordneter des Kulturbundes der Volkskammer der DDR bei und wurde ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Nach dem Tod von Eva Klemperer im Jahr 1951 heiratete Klemperer ein Jahr später die 45 Jahre jüngere Germanistin  Hardwig Kirchner, die nach Klemperers Tod an der Herausgabe seiner Tagebücher mitwirkte. Victor Klemperer starb am 11. Februar 1960 im Alter von 78 Jahren. Seine Grabstelle befindet sich auf dem Friedhof Dölzschen. Hadwig Klemperer starb 2010 in Dresden. Klemperer veröffentlichte die "LTI- Notizbuch eines Philologen" im Jahr 1947 und die "Geschichte der französischen Literatur im 18. Jahrhundert" in den Jahren 1954 & 1966. 
Victor Klemperer, 1954

Dienstag, 26. Januar 2016

Tagebücher des Victor Klemperer (1945)

"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten"

"Eines steht fraglos fest: die ungeheure Zähigkeit und immer neue Erfindungskraft, mit der die Regierung den Krieg weiterführt. Sie haben schon ein Recht, vom "deutschen Wunder" zu reden, und ich bin mir wahrhaftig ihrer Niederlage nicht mehr gewiss; mindestens werden sie sich noch überlange wehren. Dass sie die masse bei der Stange halten, verdanken sie nicht bloß ihrer Tyrannei. Sondern vor allem dem immer wiederholten (und selbst von Leuten wie Frau Stühler geglaubten!) Die Feinde, und besonders die Bolschewisten wollen euch vernichten, euch buchstäblich töten. Sie verdanken alles dem Schreckensgespenst Bolschewismus, trotzdem sie selbst Bolschewikissimi sind. -" (4. Januar 1945)
Anfang des Jahres tauchen Gerüchte über die Krankheit Hitlers auf, zerschlagen sich aber schnell als "der Führer" wieder im Radio spricht. Die Angst vor der russischen Offensive mischt sich mit der Unklarheit über ihr Vorankommen. Klemperers leiden unter dem Frost und großer Lebensmittelknappheit. Der Dresdener Bahnhof ist überfüllt mit Flüchtlingen, sie kommen in immer größeren zahlen aus Berlin. 'Das Ende scheint nah zu sein', entnimmt Klemperer der vox populi, dem Volkstenor.


"Eva sagte, ich dürfe keine Namen nennen, dürfte niemanden gefährden. Richtig - aber wie könnte ich ohne Namen genau notieren? Ich denke, im Luftschutzgepäck wird man nicht Haussuchen, ich hoffe, zum Haussuchen überhaupt dürfte es schon an zeit und Menschen fehlen." (29. Januar 1945) 
Berlin wird von der russischen Armee verwüstet, die Angst vor den Auswirkungen auf Dresden wächst.
Wenn auf der Straße offen vom nahen Kriegsende gesprochen wird, bleibt Klemperer stumm - die Angst vor Denunziation und dem Verlust des Tagebuchs - dem damit verbundene Schicksal der Genannten in seiner Verantwortung- ist groß.


"Vom Krieg seit 48 Stunden keine Neuigkeit. Es geht zu langsam für uns. -Angst haben alle. Die Juden vor der Gestapo, die sie ermorden könnte vor dem Eintreffen der Russen.d er Arier vor dem Russen, Juden uns Arier vor der Evakuierung, vor dem Hunger. An ein rasches Ende galubt keiner, und Jud und Christ fürchten auch gemeinsam die Bombenangriffe. Heute früh briet Eva eine Extrawurst für uns. Wenn die Russen kommen, sagt sie, werden die Brücken gesprengt; dann müssen wir aus unserem haus bestimmt heraus; entweder der Sprengung halber, oder weil es zur Verteudigung hergerichtet wird. - Wir mussten beide lachen, wie wir so als Selbstverständlichkeit besprachen, was uns früher romanhaft erschienen wäre. Im Grund efürchten wir gar nichts mehr, weil wir ja immerfort, in jeder Stunde, alles zu befürchten haben. Man stumpft ab." (3. Februar 1945)
Die Zahl der Deserteure der deutschen Armee steigt -  von zunächst angenommenen 700 auf 7000. Die Kinos werden geschlossen, es wird sich auf das Kriegsende bereit gemacht. Klemperer wird dazu verpflichtet, Einsatzberufungen zum Arbeitsdienst des Auswärtigen Amtes an die letzten in Dresden lebenden Juden zu verteilen, die noch als "einsatzfähig" gelten. Es ist das Todesurteil für sie.


"Dann sagte er zu mir: Evakuation für alle einsatzfähigen, es nennt sich auswärtiger Arbeitseinsatz, ich selber als Entpflichteter bleibe hier. Ich: also für mich sicherer das Ende als für die Herausgehenden. Er. das sei nicht gesagt, eher im gegenteil gelte das Hierbleiben als Vergünstigung (...) Mein Herz streikte in der ersten Viertelstunde vollkommen, später war ich dann vollkommen stumpf, d.h. ich beobachte für mein Tagebuch. (13. Februar 1945)
Der "auswärtige Arbeitseinsatz" wird als Marsch in den Tod aufgefasst, Klemperer sieht im Daheimbleiben eine noch größere Gefahr - Fliegerangriffe, Gestapo, Kriegsverlauf...
Er ist derjenige, der den vielen Dresdener Juden ihr Todesurteil überbringt, und erfährt die unterschiedlichsten Reaktionen: Von Resignation bis zum völligen Entsetzen.


"Ich war ohne Zeitgefühl, es dauerte endlos und dauerte doch wieder gar nicht so lange , da dämmerte es. Das Brennen ging immer weiter. Rechts und links war mir der Weg nach wie vor gesperrt - ich dachte immer: Jetzt noch zu verunglücken wäre jämmerlich." (13. Februar 1945)
Den 13 und 14. Februar beschreibt Klemperer in seinem Tagebuch als "Die Dresdener Vernichtung". Die Stadt liegt in Schutt und Asche, zwei tage irrt Klemperer von Bunker zu Bunker, verliert Eva, bangt, zu erfahren wer noch lebt und wie es weitergeht soll. Er selbst ist bei einer Detonation am Auge verletzt worden, Das Judenhaus ist zerbombt: Alle Möbel, Lexika, Bücher sind unwiederbringlich zerstört. Nur die Manuskriptseiten trägt Klemperer bei jedem Alarm in seinem Luftschutzgepäck mit sich, außerdem verschafft Eva die Tagebuchseiten regelmäßig zu einer Bekannten nach Pirna.
Auf dem Weg zur 'Nachrichtenzentrale jüdischer Friedhof' reißt Eva Victor den Judenstern von der Jacke herunter. Ab jetzt sind Klemperers das ausgebombte arische Flüchtlingsehepaar "Kleinpeter". Für sie beginnt eine lange Zeit der Flucht, die sie in die bayrischen Provinzen, nach München, Regensburg und schließlich wieder nach Dresden führt.
Bei der folgenden Beschreibung seiner Erlebnisse bis zum Juni des Jahres geht er über den Rahen eines Tagebuchs hinaus, es bekommt die Dimension eines Romans.

"In Klotzsche kamen mir zum ersten mal Gedanken über unsere Verluste. Alle meine Bücher, die Lexika, die eigenen Werke, ein Maschinenexemplar des 18.Jahrhunderts und des Curriculum. Geschied ein Unglück in Pirna, dann ist meine gesamte Arbeit seit 1933 vernichtet. - Im Schreibtisch lagen zusammengestellt die Stücke des dritten Bandes gesammelter Aufsätze. Wie soll ich das wieder zusammenfinden? Bei Thamm sind alle meine Sonderdrucke verrichtet... Das alles focht mich nicht übermäßig an. Das Curriculum würde ich in knapperer und vielleicht besserer Verfassung aus dem Kopfe wiederherstellen. (..) Nur um die LTI wäre es ewig schade." (Februar 1945)
Umstände der Flucht: Essensmarken sind ungültig, über den Wert des Geldes ist man sich unklar und wenn Eva und Victor etwas zu essen bekommen, dann meist umsonst. In der Besatzungszone der Amerikaner sehen sie die so fremdartigen Dunkelhäutigen, überall fahren die Soldaten in Autos. Sie sind freundlich im Verhalten gegenüber der Bevölkerung und den Kindern, denen sie oft Schokolade schenken. Auch lassen sie ihre Zigarettenstummel auf den Straßen liegen, und Victor und Eva gelangen so an etwas Tabak, den besonders Eva schmerzlich vermisst.

"Seit wir hier angekommen, dürften meine Chancen des Überlebens einigermaßen auf 50 Prozent gestiegen sein. Meinen Manuskripten in Pirna aber, die keinerlei Kopie mehr haben, und alle Arbeit und alle Tagebücher umfassen, gebe ich höchstens 10 Prozent Chance." (März 1945)
Und trotzdem notiert er immer weiter, "bis zum letzten". Aus den Stichpunkten die er während der Flucht macht, schreibt er, wenn er in einer passablen Unterkunft Zeit findet, seine Fluchtgeschichte.
Die ständige Angst, dass der Schwindel des fehlenden Judensterns auffliegen könnte - das Todesurteil zu kurz vor Kriegsende - quält ihn zunächst sehr. Aber niemand will mehr Anhänger Hitlers gewesen sein - die Menschen wollen in der Stunde der Niederlage ihren Kopf retten.

"Man unterscheidet die Geräusche. Die raschen und schmetternden Amerikanischen Autos und Autokolonnen kommen nicht in Frage, auch die von den Amerikanern gestellten Transportautos für Militärheimkehrer nicht. Ein Trecker bietet bessere Aussicht, aber manchmal führt er Mist. Am sichersten sind die Pferdefuhrwerke - aber plötzlich biegen sie, zehn Schritt ehe sie unsere Lagerstelle an der Straße erreichen, ins Feld ab. Es gibt auch die Enttäuschung geführter Pferde ohne Wagen. Und dann gibt es noch den Ochsenwagen, die sind nicht viel langsamer als Pferdewagen, aber sie fahren meist nur sehr kurze Strecken." (Mai 1945)
Schlechte Versorgung in Notunterkünften und Nagrungsmittelüebrfluss in vielen Bauernhäuser - doch nicht überall werden Klemperers herzlich aufgenommen. Viele schauen mit Argwohn auf sie herab, in den zerstörten Städten und Dörfern mangelt es auch den Einwohner am Nötigsten. Klemperers lernen die verschiedenen Facetten des Flüchtlingsdaseins kennen. Jeden Tag legen sie kilometerlange Wege zu Fuß zurück, der Zugverkehr ist bis Mai fast komplett eingestellt. Es kursieren Gerüchte um den Tod des Führers, aber an zuverlässige Nachrichten gelangen sie auf ihrer Flucht kaum.

"Überall das selbe Bild in immer neuen Variationen, mit immer neuen Kinoeffekten: Völlige Geröllhaufen, Häuser, die unversehrt scheinen, und nur noch Kulissen sind, Häuser mit abgerisenener Außenmauer und dachlos, aber die einzelnen Stockwerke, die einzelnen Zimmer mit ihren verschiedenfarbigen Tapeten sind noch da, irgendwo ist ein Waschbecken erhalten, schwebte ein Tisch, steht ein Ofen, Häuser, die innen ausgebrandt sind.. (Ende Mai 1945)
Klemperers waren im Februar nach Bayern aufgebrochen, um bei den Eltern von Bekannten Unterschlupf zu finden. Darauf folgt eine Odysee durch Süddeutschland, eine Flucht von Unterkunft zu Unterkunft, jeden Tag legen sie fast 20 Kilometer zu Fuß zurück - vor der Sperrstunde um 21 Uhr müssen sie eine Unterkunft gefunden haben. Sie folgen Evas Plan, sie ist diejenige die in der Stunde der Verzweiflung rational denkt, in dessen Hände Victor sein Leben gibt. Nach vier Monaten Flucht und dem sicheren Kriegsende beschließen sie wieder nach Dresden zurückzukehren, den Weg treten sie auf eigene Verantwortung an. Ein Bild der Zerstörung bietet sich in München, das sie einige Wochen zuvor noch als halbwegs verschont gebliebene Stadt kennenlernt haben, aber auch hier hat es letzte Kämpfe gegeben.  An das Lebens als "arischer Ausgebombter" hat er sich schnell gewöhnt, offenbart seine Identität allerdings jetzt wo er sich des Kriegsendes sicher sein kann. Als Jude kommt ihm an viele Stellen Sonderbehandlung zu. Eien Reiseerlaubnis der Amerikaner bekommen sie - trotz der Position Klemperers - nicht erteilt.

"Am späten Nachmittag stiegen wir nach Dölzschen hinauf." (Juni 1945) 


Victor Klemeperer (1881 - 1960)

Mittwoch, 13. Januar 2016

Inselromatik auf Sylt

Zum fünften Mal Sylt, und doch nicht langweilig! 
Die Woche Urlaub zwischen Weihnachten und Neujahr ist immer eine besondere Zeit fernab von Alltag, Eltern und Stress mit einem besonderen Lebensgefühl für mich. Auf Sylt ticken die Uhren anders - Eintauchen in eine andere Welt für eine Woche im Jahr. 
Auch diesmal ist die Zeit natürlich wieder viel zu schnell vorbeigegangen, aber ich möchte ein paare Momente teilen, und das Fernweh für die Nordsee bei dem ein oder anderen wecken:





Der Hindenburg Damm: Im Jahr 1927 fertiggestellt und nach dem damaligen Reichspräsidenten benannt, sichert er die Zugverbindung zwischen Insel und Festland. Hier sieht man den Autozug (für den es in der Hauptsaison ewig lange Wartezeiten gibt...)







Das Motto hier in Kampen....






















Die Friedrichstraße in Westerland: die Haupt-Einkaufsstraße und Flaniermeile. Gesehen und gesehen werden gilt hier, und in einem der gemütlichen Cafes, wo man auch in Winter draußen sitzt, kann man herrlich Leute beobachten!


Gosch - der wohl bekannteste Fischhändler der Nodsee mit Ursprung auf Sylt. Hier in Westerland ist sonst kein Platz mehr bei dem beliebten Fischrestaurant zu bekommen, aber in den ersten Januartagen leert sich die Insel so sehr, dass die Friedrichstraße fast nicht mehr wieder zuerkennen ist!




Eine ehemalige Bunkeranlage aus der ein Künstler ein Cafe gemacht hat. Scheinbar endlose Gänge und liebevoll gestaltete Räume machen die "Kupferkanne" bei den Touristen so beliebt!









Das "rote Kliff" in Kampen - scheinbar der In-Club für partywütige auf Sylt. Dekadenz, hohe Preise und immer gleiche Musik habe ich allerdings dort erfahren. Stimmung kam hier eher langsam auf. Jungs, nicht viel älter als ich, zeigen hier was Pappis Portemonnaie so her gibt, und bestellen 6 Liter Wodka Flaschen - und sitzen dann mit ihren Ipohnes vor der Tanzfläche herum!

















Silvester: die traditionelle Strandparty von NDR2 und ein großes Feuerwerk gehören einfach dazu. Nach dem Feuerwerk wird das neue Jahr in einem der Cafes oder bei Gosch eingeläutet.

Ein Schriftzug entdeckt in einer kleinen Boutique....












Aber Sylt ist nicht nur dekadent - es bietet eine wunderschöne Dünenlandschaft, gute Restaurants und ein besonderen Lebensstil

Tipps für Sylt-Touristen:
- in Restaurants muss früh genug reserviert werden - spontan bekommt man leider nur selten einen Platz in der Hauptsaison
- an regnerischen tagen eignet sich das Schwimmbad "Sylter Welle" oder das Museum "Naturgewalten Sylt" in List
- am Autoreisezug ist mit langen Wartezeiten zu rechnen - umsteigen auf die Fähre nach Dänemark ist nicht nur billiger sondern auch nur unwesentlich weiter
- Abreisen direkt nach Silvester ist eher unklug - lieber noch ei paar Januartage bleiben, dann wird die Insel leer und der Zug auch
- ein Fischbrötchen bei Gosch muss man mal gegessen haben...
- im Winter verwandelt sich der Strand zu einer Hundespielwiese
- das traditionelle "Neujahrsbaden" in Wenningstedt ist sehenswert- Menschen in verrückten Verkleidungen stürzten sich in die eiskalten Fluten der Nordsee um das neue Jahr zu begrüßen


Sonntag, 3. Januar 2016

Naturgewalten Erlebniszentrum auf Sylt


Einen stürmischen und ungemütlichen Tag auf Sylt verbringt man am besten im Museum - im Naturgewalten Erlebniszentrum auf Sylt/List. Ein Spaß für jedes Alter rund um das Klima, Erderwärmung und die Insel. Ich war begeistert von dem Besuch und habe viel neues Wissen mitnehmen können. Einiges davon möchte ich teilen, auch um einen Einblick in die Themenwelt dort zu geben.





Tropen
Die Tropen sind wie der Gürtel des Äquators. Die Temperaturen bleiben im Jahresverlauf konstant, die Niederschlagsmengen aber wechseln und können in wechselfeuchten Tropen starke Regen- und Trockenzeiten verursachen. Allerdings bleiben die Trockenzeiten in den immerfeuchten Tropen am Äquator aus, während es in den trockenen Tropen sogar Wüsten und Halbwüstengebiete gibt.

Gemäßigte Tropen
Die Gemäßigte Zone reicht vom Polarkreis bis zum 40.Breitengrad und umfasst sowohl kalte, kühle und warmgemäßigte Zonen. Es gibt Schwankungen in den Tageslängen und ausgeprägte Jahreszeiten, dabei verteilen sich die Niederschläge gleichmäßig über das Jahr bei unbeständiger Witterung. Die Winde kommen meist von Westen.

Subtropen
Die Jahresmitteltemperatur beträgt hier 20°C bei tropischen Sommern und nicht-tropischen Wintern. Das Klima ist jedoch regional verschieden. Es wird differenziert zwischen trockenen Subtropen wie die Sahara-Wüste oder der nahe Osten, den winterfeuchten Subtropen wie Mittelmeer-Regionen, Zentral-Chile, Kalifornien, Süd-West Australien oder Südafrika und immerfeuchten Subtropen wie im Kaukasus, Afghanistan, Nord-Iran und im Osten der USA.

Subpolare Zone
Sie bezeichnet den Übergang zwischen polarer und gemäßigter Klimazone und wird stark von den Winden beeinflusst: warme Westwinde im Sommer und polare Ostwinde im Winter. Typisch sind trockene und lange Winter und trockene und kurze Sommer.

Es gibt zwei polare Zonen auf der Erde: die Arktis als Kontinent um den Nordpol und die Antarktis als von Kontinenten umgebener Ozean um den Südpol. Das Meereis in der Arktis beginnt bedrohlich schnell zu schmelzen - laut Prognosen von Forschern wird die Arktis am Ende dieses Jahrhunderts im Sommer eisfrei sein. In der Antarktis hat man dieses Phänomen noch nicht beobachten können, trotzdem lösen sich auf der antarktischen Halbinsel seit den letzten Jahrhunderten schwimmende Gletscher (Schelfeis) und stürzen ins Meer.

Der Coriolis-Effekt
Die Coriolis-Kraft wird durch die Erdrotation bewirkt und wirkt erst, wenn ein Körper durch andere Kräfte wie z.B. Winde in Bewegung gesetzt wird. Auf der Nordhalbkugel wir der bewegte Körper nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links gezogen. Allerdings gibt es am Äquator keine Coriolis-Kraft.























Die Erderwärmung - ein großer Bestandteil der Themenreihe im Naturgewalten-Museum. Experten gehen davon aus, dass die Temperatur der Erde in den kommenden 20 Jahren um 0,2 Grad pro Decade in den  ansteigt - und wir Menschen sind schuld daran. Seit Beginn der Industrialisierung vor ca. 150 Jahres stoßen wir immer mehr Kohlenstoffe und Stickoxide aus und denken nicht witer über die Folgen unseres rücksichtslosen Verhaltens nach. Den größten Anteil an der Erderwärmung hat der Energiesektor mit 41%, danach kommen Gewerbe und Industrie sowie Verkehr mit je 19% genauso wie die privaten Haushalte mit dem selben Anteil. Die Landwirtschaft und Landnutzungsänderung tragen nur zu 6% zur Erderwärmung bei.


Extreme Wetterphänomene wie Hitzeepisoden, Dürregebiete, Starkniederschläge und tropische Wirbelstürme weisen darauf hin.
Seit 1993 hat sich Anstiegsgeschwindigkeit des Meeresspiegels von 1,7 mm auf 3,1 mm pro Jahr fast verdoppelt.


Innovationen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes:
- Knie-Dynamos aus Kanada: das praktische Energielieferant der durch das Beugen und Schwingen des Knies genug Energie umsetzt um das Handy auszuladen!
- Rohre unter der Asphaltdecke der Straße die die Wärme speichern und in Energie umwandeln

Eis-Albedo-Effekt
Sonnenlicht wird von weißen Eisflächen reflektiert und in die Atmosphäre umgeleitet. Dunkels Wasser absorbiert den größten Teil, was wiederum zu einer Erwärmung der Eisflächen führt, Dieses Phänomen kann man auch - wie in einem Video der Realschule der Insel dargestellt - an schwarz-weiß gefleckten Kühen beobachten. Die Kühe mit mehr schwarz im Fell schwitzen mehr, Schwarz zieht die Sonne an! 



Tornados und Hurrikans: Der Unterschied
Tornados sind kleinräumig und nicht von langer Dauer. Sie reichen bis zum oberen Rand von Gewitterwolken, sind aber nur 100 bis 300 m breit. Nach durchschnittlich zehn Minuten ist ein Tornado wieder vorüber.
Hurrikans dagegen haben einen Durchmesser von 500 bis 1000 km und können bis 17 Meter in die Höhe reichen. Sie können mehrere Tage lang wüten.


Die Sylter sind an die extremen Wetterbedingungen, schnellen Umschwünge und Sturmfluten gewohnt. 
Besonders schlimme Schäden an den Küsten Sylts haben bisher Orkantief Christian am 28. Oktober 2013 und Orkantief Xaver vom 5. bis 7. Dezember 2013 angerichtet. Experten sagen voraus, dass sich die Häufigkeit und Höhe von Sturmfluten in der Zukunft erhöhen wird.

Der Sturmsimulator versetzt den Besucher in das Gefühl, mitten in der Sylter Brise zu stehen. Windstärke 20 bewirkt mäßig hohe Wellenberge und abwehende Gischt - allerdings ist die Simulation nicht zu vergleichen mit den echten Wetterbedingungn draußen! Dort herrschen gefühlte 100 m/s!

An der Westküste Sylts gibt es sogenannte Wanderdünen, die ohne die Bepflanzung mit Strandhafer zur echten Gefährdung für Häuser und Straßen werden können. Die bis zu 30m hohen Wanderdünen wandern jährlich 3 bis 4m- 875m beträgt der Abstand zu den ersten Häusern von list. Das Sandgebilde würde den Ort List in 250 Jahren erreichen, doch den genauen Fortgang bestimmt der Wind.

"Man muss sie sich verfünffacht vorstellen, man glaubt, in der Sahara zu sein"
- Thomas Mann über die Lister Wanderdünen, Anfang des 20.Jh



Eine Äolsharfe - auch Windharfe genannt, weil ihre Saiten vom Wind gespielt werden. Daraus ergibt sich ein geisterhaftes Heulen.




Rechts: Der Schiffsbohrwurm ist der Schrecken der Seefahrer. Er bohrt sich in das Holz hinein - bis zu 30 cm durchbohren sie Eichenstämme in einem halben Jahr und können drei Jahre alt werden! Die Pfähle werden auch Dalben genannt und zum Anbinden von Schiffen verwendet.


Ward ihr auch schon einmal dort? Was macht ihr am liebsten auf Sylt?