Beitrag zur Entwicklung des Nationalstaatsgedankens und der friedlichen Revolution in der DDR im Rahmen einer Feierstunde anlässlich des 25.Tags der Deutschen Einheit:
„Ab morgen Nacht sind wir 45 Jahre nach
Kriegsende wieder für unser Schicksal verantwortlich. (…) Die Nachkriegszeit
ist endgültig vorbei.“, so berichtete
die Tagesschau am 01.10.1990. Wieder 25 Jahre später können wir Schüler uns ein
Leben in einem geteilten Deutschland nicht mehr vorstellen; ein System, gebaut
auf Unfreiheit und Repression - weit weg von unserer Lebenswirklichkeit. Die
Deutsche Einheit scheint wie die Erfüllung der Geschichte unseres Landes, die
Verwirklichung des Wunsches nach einem Nationalstaat, der sich wie ein roter
Faden durch unsere Geschichte zieht. Der Weg zu dem heutigen Deutschland ist
von vielen Irr- und Umwegen gezeichnet, und geprägt von dem Streben nach
Einheit.
Es
ist kein übersteigerter Patriotismus, sondern vielmehr den Umständen im
Deutschland nach dem Wiener Kongress geschuldet, dass Hoffmann von Fallersleben
im Jahr 1840 komponiert:
„Einigkeit und Recht und Freiheit für
das Deutsche Vaterland
Danach lasst uns alle Streben,
brüderlich mit Herz und Hand“
Territoriale
Einheit für die Einzelstaaten, die Deutschland wie einen Flickenteppich
zusammensetzten; Eine Verfassung nach den Idealen der Französischen Revolution
auf Basis von Menschenrechten und Demokratie sowie Freiheit für einen geeinten
Deutschen Staat.
Deutschland
ist längst eine Kulturnation, vereint durch Sprache, Werte und Vergangenheit,
die Bestrebungen zur territorialen Einheit unter gemeinsamer Regierung werden
jedoch im Zuge der Angst vor einer Hegemonialstellung Deutschlands in Europa
unterbunden. Pressezensur, Überwachung und Bestrafung für regimekritische
Äußerungen sind die Instrumente der politischen Repression. Die Karlsbader
Beschlüsse leiten die Biedermeierzeit ein, und damit die Anpassung der
Gesellschaft an die bestehenden Systeme, die Flucht ins Private und Bürgerliche
als Rückzug aus den politischen Geschehnissen der Zeit. Doch die revolutionären
Kräfte in Deutschland können nicht unterbunden werden, Kundgebungen wie das
Wartburgfest oder das Hambacher Fest sind Ausdruck des Dranges nach Souveränität und Einheit. Künstler, das
liberale Bürgertum, Akademiker und Mitglieder der verbotenen Burschenschaften
demonstrieren unter Schwarz-rot-goldener Fahne gegen die europäische Politik
zur Wahrung der Pentarchie unter den Großmächten. Die Proteste gipfeln in der
Deutschen Revolution, in der eine konstituierende Versammlung die Verfassung
eines geeinten Deutschen Staates auf Basis einer parlamentarischen Monarchie schaffen
soll. Doch auch hier werden die Hoffnungen der Bürger nach der Ablehnung der Kaiserkrone
durch den preußischen König enttäuscht. Nach dem Scheitern der Revolution wird
durch die Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich die
Einigung Deutschlands erreicht – mittels Gewalt und Annexionen. Die Kaiserreichsgründung im Jahr
1871 erfolgte noch in den Wirren des Deutsch-Französischen Kriegs, die
Proklamation begleitet von Militärs. Zwar soll eine Parlamentarische Monarchie
nach dem Vorbild der Deutschen Revolution die Meinung des Volkes im Reichstag
repräsentieren, doch die Ambivalenz im Verfassungssystem schreibt der
Volksvertretung nur eingeschränktes Mitbestimmungsrecht zu. Nach dem Untergang
des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Zuge der Eroberungskriege
Napoleons im Jahr 1806 wird Deutschland nach 65 Jahren wieder zu einem
souveränen Nationalstaat. Doch der aufkommende Imperialismus der europäischen
Großmächte und die „Platz-an-der- Sonne- Politik“ Willhelm des II. stürzt die Welt in die Urkatastrophe
des 20.Jahhunderts, den 1.Weltkrieg. Das Kaiserreich verliert den in seinen
Dimensionen ungeahnt grausamen Krieg, und wird im Waffenstillstandsabkommen zu
einer Neuordnung in einer parlamentarischen Staatsform aufgefordert. In den
revolutionären Unruhen im November 1918 wird die Weimarer Republik gegründet,
die nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 in einer nationalsozialistischen
Diktatur endet. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust kennzeichnen das wohl
dunkelste Kapitel der Deutschen Geschichte. Nach der bedingungslosen
Kapitulation im Mai ’45 verliert Deutschland erneut seine Staatlichkeit. Die
Terrorherrschaft ist vorüber, doch die Zukunft eines gesamten Volkes ungewiss.
Wieder wird das deutsche Territorium aufgeteilt und auseinandergerissen. Die
Besatzungszonen der Alliierten ebnen den Weg für die Teilung Deutschlands. Im
Westen des Landes entsteht die Bundesrepublik Deutschland und im Osten mit der
Deutschen Demokratischen Republik ein Sattelitenstaat der Sowjetunion. Ein Land
unter dem Demokratiebegriff des Kommunismus, ein totalitäres Regime,
Planwirtschaft.
Der
Weg in den „goldenen Westen“ scheint für viele die bessere Alternative zum
sozialistischen System der DDR zu sein. Als Reaktion auf die
Massenfluchtbewegungen und auf die Gefahr des Ausblutens ihres Staates hin
lässt das SED-Regime die Grenze zur DDR abschotten. Aus der Aussage „Niemand
hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ entsteht in der Nacht zum 13.August
1961 die Berliner Mauer. Nach der Zweiteilung eines Landes wird hier eine Stadt
auseinandergerissen, Familien getrennt und Schicksale besiegelt. Während im
Westen das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre floriert, sind im Osten
Nahrungsmittel knapp, die Menschen unzufrieden. Die Frustration spiegelt sich
im Volksaufstand vom 17.Juni 1953, in der DDR-Bürger ihren Unmut gegenüber der
Regierung äußern.
Ein
Beteiligter erinnert sich: „Die Situation
unserer Kollegen wurde kurz bekannt gegeben. Innerhalb ganz kurzer Zeit kamen
die Kollegen, in Arbeitskleidung, so wie wir waren in Holzpantinen, und nur mit
Hemd usw. bekleidet. Dann haben wir uns formiert zu einem Zug von etwa 300 bis
500 Leuten und sind auf der Straße zum Krankenhaus marschiert.“ Der Versuch
eines Historikers die Beweggründe der Aufständischen zu formulieren lautet: „Die Bauarbeiter agierten als Kämpfer ohne Pathos. ’Kollegen,
reiht euch ein – wir wollen freie Menschen sein!’ Es ging nicht um die
Verwirklichung einer fremden Idee sondern um die Realisierung einer eigenen,
menschenwürdigeren Existenz. Nicht das Versprechen der Freiheit, sondern die
unmittelbare Handlungsfreiheit, hier und jetzt: Runter vom Gerüst, ran an die
Regierung, raus aus den Gefängnissen, rüber über die Grenze – der Drang nach
elementaren Freiheiten als Unterpfand der großen allgemeinen Freiheit, das war
das bewegende Motiv der Bauarbeiter und des ganzen Volksaufstandes.“ Für
die Forderungen nach Freiheit und Demokratie nach dem Vorbild des Westens lassen
mehr als 50 Menschen ihr Leben, das SED Regime lässt in Berlin Panzer auffahren
um die Demonstration aufzulösen.
Berthold
Brecht reflektiert den Aufstand in gekonnt pointierter Weise:
„Die Lösung: Nach dem Aufstand des
17.Juni
Ließ der Sekretär des
Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter
verteilen,
auf denen zu lesen war, dass das Volk
das Vertrauen der Regierung verscherzt
habe
und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
nicht einfacher, die Regierung
löste das Volk auf und
wählte ein anderes?
In
der fatalistischen Ironie des Gedichts zeigt sich die gesamte Paradoxie der
Lage im sozialistischen Staat.
Auch
Liedermacher Wolf Biermann, 1953 freiwillig in die DDR übergesiedelt, denkt nun
ähnlich über die praktische Verwirklichung seiner kommunistischen Ideale. In
der Retrospektive resümiert er: „Diese
Hoffnung auf ein kommunistisches, soziales Paradies ist nach meiner heutigen
Meinung der sichere Weg in schlimmste Höllen.“ Seine Ausbürgerung im Jahr
1976 bricht wie eine Welle über die Szene der Musiker und Künstler herein und
gipfelt am 4.November 1989 in der größten Protestdemo der Geschichte des
Staates. Seine Worte „Wer sich nicht in
Gefahr begibt kommt darin um“ hallen bei den DDR- Bürgern nach. Eine halbe
Millionen Menschen versammeln sich auf dem Alexanderplatz – Wortführer sind
Prominente wie Schauspieler Jan Josef Liefers, Ulrich Mühe oder Katharina
Thalbach. Aber Oppositionelle und Aktivisten versammeln sich schon seit 1981 in
der Leipziger Nikolaikirche zu wöchentlichen Friedensgebeten, im Herbst 1989
sind es bis zu 70.000 Menschen. Mit der Parole „Wir sind das Volk“ ziehen jetzt
Hunderttausende im ganzen Land bei den Montagsdemonstrationen mit Kerzen und
Plakaten auf die Straße, um friedlich für ein geeintes Deutschland zu
protestieren. „Wir hatten alles geplant.
Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“, so SED-Politiker
Horst Sindermann. Es war die Gewaltfreiheit
und der Sanftmut der Demonstranten die den Weg zur friedlichen Revolution mit
dem Fall der Berliner Mauer am 09. November ebnen. „Wir Deutschen sind jetzt das Glücklichste Volk der Welt“ reflektiert bereits einen Tag später Politiker
Walter Momper und betont dabei die Einheit des Deutschen Volkes ein Jahr vor
der eigentlichen Wiedervereinigung.
Am
3.Oktober weht die Schwarz-rot-goldene Flagge auf dem Reichstagsgebäude in
West-Berlin, und vereint die versammelten Menschenmassen beider Staaten unter
ihrem Zeichen. Sie ist das Symbol für
das endlich wiedervereinigte Deutschland und die Erfüllung der Losung der
Friedlichen Revolution „Wir sind EIN
Volk“.
Nicht
nur damals sind Menschen vor Gewalt, Repression und Unfreiheit geflohen, heute
suchen mehr Menschen denn je Zuflucht in Deutschland. Die Deutsche Außenpolitik
übernimmt große Verantwortung im Weltgeschehen dieser Tage. Die Regierung der
Bundesrepublik dient als internationales Vorbild, die Demokratie auf der Basis
von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Menschenrechten ist Ausdruck der
langen Bestrebungen nach Deutscher Einheit unter diesen Aspekten.
Doch
auch heute gehen Menschen montags auf die Straße und demonstrieren gegen die
herrschende Regierung. Sie rebellieren nicht gegen die Erhöhung von Arbeitsnormen,
Staatliche Verfolgung oder eingeschränkte Handlungsfreiheit, sondern gegen den
Einfluss fremder Kulturen in ihrem Vaterland. Patriotismus bekommt hier ein
neues Gesicht, äußert Hoffmann von Fallersleben seinen nationalen Stolz aus der
Situation eines noch nicht vorhandenen Deutschlands, agieren die Demonstranten
dieser Tage aus der übersteigerten Motivation, ihr Kulturgut zu schützen.
Vielleicht handeln auch sie nur aus der Überzeugung heraus, ihren nationalen
Stolz zu verteidigen, muss aber nicht besonders ein Staat wie Deutschland durch
eine Varietät von verschiedenen Lebensarten und Ethtiken geprägt werden – im
politischen Tagesgeschäft so wie in der Gesellschaft?
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