"Von Orangenpapieren, Seilbahnen und dem ganzen Leben" am Samstag, den 14.03.15
Im Rahmen des Kölner Literaturfestivals Lit.Cologne treffen am Samstagabend die Erfolgsautoren Robert Seethaler und Hanns Zischler auf einander, im Gepäck zwei grundsätzlich verschiedene Bücher, vereint durch das Leitmotiv der Sehnsucht nach Freiheit und der Bedrückung durch die Berge. Seethaler erzählt in "Ein ganzes Leben" die Geschichte eines österreichischen Bergführers, Zischler beschreibt die Heimatlosigkeit eines jungen Mädchens, das von Dresden in die bayrischen Alpen zieht in "Das Mädchen mit den Orangenpapieren".
Bettina Böttinger spricht mit ihnen über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Hintergründe der beiden Bücher und führt mit ihrer langjähriger Talk-Erfahrung durch die Lesung. Gar nicht so leicht, denn Zischler und Seethaler sind zwei völlig verschiedene Charaktere: Letzterer fühlt offensichtlich unwohl auf der Bühne, weiß nicht recht mit der Aufmerksamkeit umzugehen. Zu Beginn gesteht er Frau Böttinger ganz offen: "Tief in meiner Kinderseele hatte ich gehofft, sie würden mich den ganzen Abend lang nicht ansprechen", und beseitigt mit seiner unperfekten und offenen Art die Distanz zwischen ihm und dem Publikum sofort. Ein Blick auf den Boden, die Hand wandert zur Stirn, er schließt seine Augen für einen kurzen Moment, als müsse er eine Antwort erst tief in sich drin suchen: "Ich fühle mich, als würde ich mein Herz hier auf den Tisch legen", scherzt er, und bringt damit seine Angreifbarkeit durch seine Bücher zum Ausdruck. Zischler hingegen wirkt souverän, strahlt in seiner Ruhe Respekt und Anmut aus. Er ist ein sehr intelligenter und erfahrener Mann, und strotzt vor Lebenserfahrung.
Sowohl "Ein ganzes Leben" als auch "Das Mädchen mit den Orangenpapieren" spielen in einer Berglandschaft; eine Kulisse, die normalerweise mit Weite, Erhabenheit und Freiheit konnotiert wird, bekommt hier einen beklemmenden und bedrückenden Charakter. In beiden Werken so detailliert und eindringlich beschrieben, dass sich der Leser selbst der unbekannten Bergwelt ausgesetzt fühlt.
Der aus Wien stammende Robert Seethaler ist mit den Bergen im Nacken ausgewachsen, Hanns Zischler erfasste die Umgebung einzig aus seinen Erinnerungen an frühere Bayern und Österreich Aufenthalte, für das Buch sei er nicht extra zum Schauplatz seiner Geschichte gefahren; überraschend, denn sein gefühlvolles Aufzeichnen der Landschaft wirkt, als hätte er beim Schreiben selbst in dem kleinen Dorf gesessen und die Umgebung vor Augen gehabt. Auf die Frage, warum seine Erzählung in den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts spielt, deutet Zischler auf Erlebnisse in seiner Kindheit und Jugend, will diese aber nicht weiter ausführen. Die heutige Zeit beschreibt er als unsicher, die Koordinaten der Erde würden verschoben und der Weltfrieden von radikalen Gruppierungen bedroht.
Seethaler wirkt publikumsscheu, aber durch seine Unbeholfenheit unglaublich authentisch und menschen-nah. Er ist stark sehbehindert, -19 Dioptrien lassen ihn teilweise nur die Silhouetten seiner Zuschauer erkennen. Er könne sich nicht daran gewöhnen, dass Menschen ihn wegen seiner Arbeit als Schriftsteller bewundern, und er sich selbst längst als ein solcher bezeichnen darf. Er scheint selbst sein größter Kritiker zu sein, und trotzdem gelingt es ihm, die unglaublich kraftvollen und charakterstarken Bücher zu schreiben, für die er so berühmt geworden ist
Zischler hingegen ist es durch seine langjährige Schauspielarbeit gewöhnt, auf der Straße erkannt zu werden, trotzdem sei das Schreiben eine völlig andere Art des "angeschaut Werdens". Den erste Satz in einem Buch, der ja bekanntlich der ausschlaggebende und wichtigste ist, löste er übrigens mit einem Rätsel, das Klassenlehrer Kapuste der kleinen Elsa aufgibt, und umschifft damit gekonnt das Dilemma des Ringens um die Worte zum Einstieg.
Die Lesung fand in der Kulturkirche in Köln-Nippes statt; eine evangelische Kirche, die neben den sonntäglichen Gottesdiensten immer wieder für Events, Konzerte und Lesungen gebucht wird. Zugegeben- etwas befremdlich ist es schon, wenn in einer Kirche Scheinwerfer, Leinwand und Kameras postiert sind, anstatt Pfarrer und Kreuz, aber die warme Atmosphäre und die modernen Lichteffekte und Projektionen an den altehrwürdigen Wänden machen sie zum idealen Veranstaltungsort!
Die Begegnung der beiden Erfolgsautoren dauert insgesamt eineinhalb Stunden, und eröffnet den Zuschauern einen Blick hinter die Schreibfeder der Verfasser. Persönlich, offen und tiefgründig - ein wirklich gelungener und spannender Abend!
Hier geht’s zur Rezension von "Das Mädchen mit den Orangenpapieren" (Zischler)
Hier geht’s zur Rezension von "Die Biene und der Kurt" (Seethaler)
Hier geht’s zum Bericht der lit.Cologne Lesung mit Karen Köhler und Kristof Magnusson
Du warst da? Cool! Und wieder Frau Böttinger getroffen?
AntwortenLöschenHaha ja, mit Frau Böttinger konnte ich glücklicherweise auch noch sprechen! Ich war auch noch auf einer weiteren lit.Cologne-Lesung, der Blogpost folgt ;)
AntwortenLöschenAlle sind gwspannt.
AntwortenLöschenAlle sind gwspannt.
AntwortenLöschenAlle sind gespannt.
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