Samstag, 11. Juli 2015

Tagebücher des Victor Klemperer 1940-1941

"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten."


Klemperers ziehen ins Judenhaus und geben das letzte Stück Würde, persönliche Freiheit und Hoffnung auf eine bessere Zukunft ab. Die Fliegerangriffe häufen sich, die Volkstimmung ist schwer zu erfassen und Victors Arbeit kommt nur schleppend voran. Nur über den Fanatismus der Nazis in Verbindung mit ihrer Sprache notiert er viel, wenn er den Krieg, wenn er das Regime überlebt will er aus seinem Beobachtungen ein Buch machen.


"Ein ständiges zerrüttetes in der Schwebe, und das gilt von der privaten und der allgemeinen Angelegenheit. Kommt die Offensive? Wann? Und wann müssen wir hieraus? (31.03.1940)
Auch der große Traum vom Lebensabend im eigenen kleine Haus in Dölzschen wird nun von den Nazis zu Nichte gemacht. Ihnen droht die Übersiedelung in ein Judenhaus, die Behördenwillkür des Dritten Reichs macht auch vor den Professor und der Arierin keinen Halt. Was wird dort auf sie zu kommen? Eingepfercht mit anderen Schicksalsgenossen, warten sie auf die weiteren Einschränkungen ihres Lebens  durch die perfiden Judengesetze.



"Das Chaos des Umzuges hat begonnen, neun Zehntel der Möbel müssen auf den Speicher, wir vernichten viel Schriftliches und Gedrucktes als Ballast, was wir solange bewahrt hatten. Im Garten legt Berger seine Ladenstufen an und zerstört, was Eva in Jahren aufgebaut hat. Und bei alledem das trostlose Gefühl, dass eine günstige Änderung unserer Lage auf keine Weise anzunehmen ist."  (16.05.1940)
Ein ganzes Leben wird in Kartons gepackt und weggesperrt. Werden Victor und Eva jemals wieder nach Dölzschen zurückkehren können? Hier wird nun eine arische Familie ihr Glück finden, Klemperers haben ihres endgültig verloren. Die neuen Bewohner zerstören, was die beiden mit viel Herzblut und Kampfgeist errichtet haben.



"Gehobenes KZ" (06.06.1940)
der Einzug ins Judenhaus stellt für Victor und Eva eine große Herausforderung dar. Sie müssen sich mit den anderen Bewohnern arrangieren, auf einen Großteil ihrer Privatsphäre verzichten.



 "Niemand weiß genau, was erlaubt ist, überall fühlt man sich bedroht. Jedes Tier ist freier und rechtlich gesicherter." (06.07.1940)
Die Schlinge aus perfiden Gesetzen zur Entwürdigung der Juden zieht sich immer weiter zu. Entrechtet und gepeinigt versuchen Klemperers ihren Lebensalltag im Judenhaus zu gestalten, Victor schreibt so viel wie möglich an seiner Biograhie während es um Evas Gesundheitszustand immer schlechter steht.



 "Wir tappen im Dunklen, sind fatalistisch, hoffen immer wieder" (07.07.1940)
Die politische Lage ist undurchschaubar, immer wieder tauchen neue Gerüchte auf, doch es ist schwer der Volksstimme einen Tenor zu entnehmen, zwischen Gerücht und Fakten zu unterscheiden. Die Lage zwischen England und Deutschland bleibt angespannt, wann greifen die deutschen Truppen an? Und was geschieht mit den Juden bei einer Niederlage Deutschlands?

"Jeden Tag tauschen Gerüchte über neue Torturen auf,  und bisher sind die meisten in Erfüllung gegangen." (30.08.1940)
Ständig neue Judengesetze und Verhaftungen bei kleinsten Vergehen. Die Lebensmittel sind knapp, neben den Rationskarten ist es schwer, an Essen zu gelangen. Auch wegen der "Juden verboten"-Schilder in Restaurants und Lokalen müssen Victor und Eva immer öfterauf ihren kleinen Luxus vom außerhäusigem Abendessen verzichten.


"Wie viel Lauferei und Herumstehen, wie viel äußerste Bitterkeit ist in dieser Notiz enthalten, welch ein raub und welch ein irreparabler Verlust. Wann soll ich je wieder zu einem Wagen kommen?" (20.02.1941)
Nachdem Klemperer seinen Führerschein bereits1938 abgeben musste, verbietet ihm ein neues Judengesetz nun auch, ein Auto zu besitzen. All seine Bemühungen um den Wagen, all die Reparaturen für die er oft sein letztes Geld gegeben hat, und die nervliche Belastung - umsonst? Auch die kleinen Fahrten die ihn und Eva kurz aus ihrer tristen Lebenswirklichkeit befreien konnten, gehören nun der Vergangenheit an; die Hoffnung einmal wieder an ein Fahrzeug zu gelangen ist gleich null angesichts der ungewissen Zukunft.


"Ich habe mich sosehr an den Gedanken der Haft gewöhnt, dass er mich nicht mehr im Arbeiten stört, und dass ich die Sache fast humoristisch nehme." (24.03.1941)
Verdunkeln - eine der wichtigsten Pflichten eines deutschen Bürgers zu Kriegszeiten. Victor und Eva halten sich immer genau an die Vorgaben, sie verdunkeln ihre Zimmer immer pünktlich - bis Victor einmal ein Fenster vergisst und denunziert wird. Ihm droht eine Woche Haft, denn auch nach großen Bemühungen lässt sich die Behörde nicht erweichen. Allerdings gestattet man ihm das Lesen und Notieren, und auch Eva geht es nach einem harten Winter nervlich deutlich besser.



"Aber vielleicht wird der Kelch an mir vorübergehen, vielleicht wird er nicht ganz so bitter sein, vielleicht werde ich vorher sterben. Ich sage mir jetzt oft: Schließlich liegt ein langes, interessantes nicht einmal ganz erfolgloses Leben hinter, auf alle Fälle nur noch ein Rest vor mir - was kommt es so groß auf ihn an?" (14.04.1941 Ostermontag)
Dunkle Gedanken am Osterfeiertag. Die Zukunft Deutschlands liegt in völliger Ungewissheit, die Lebensumstände im Judenhaus werden immer schwieriger. Klemperers ziehen einen Umzug nach Berlin in Erwägung, dort sollen Juden mehr Freiheit besitzen, doch bevor ihre Planungen ernst werden können, wird die Hauptstadt für jüdische Einwanderer gesperrt.


"Und die Furcht vor dem vergeblichen Warten ist meine einzige Todesfurcht" (aus der Haft vom 23.06-01.07.1941)
Klemperers Schilderungen aus der Haft sind erschreckend. Allein mit seinen Gedanken in Einzelhaft, ohne Bücher und Papier wie anfangs versprochen, erträgt er das Warten auf das Ende der Woche kaum. Als Eva ihn besuchen kommt, schämt er sich für seinen Zustand. Er beginnt darüber nachzudenken, ob er Eva mit der Verwirklichung seiner Ziele und Pläne in den letzten Jaren nicht übergangen hat.


"Aus der Hölle war ich wohl an meinem Bleistift hochgeklettert." (aus der Haft vom 23.06 bis zum 01.07.1941) 
Professor Victor Klemperer ist am Boden angelangt. Seine Gedanken kann er nicht mehr kontollieren, er zählt die Sekunden bis zu seiner Entlassung - bis ihm ein Beamter aus Mitleid ein Blatt Papier und einen Bleistift gibt. Es ist seine Rettung aus der Depression, die Möglichkeit einige weige Notizen machen zu können, die ihn die Tage überstehen lassen.


"Alles Schwanken hat nun ein Ende. Das Schicksal wird entscheiden. Während des Krieges können wir nicht mehr heraus, nach dem Krieg brauchen wir es nicht mehr, so oder so, Tod oder lebendig." (27.06.1941)
Klemperers blicken den nächsten Jahren mit Resignation entgegen, der Glaube an eine Zukunft schwindet. Fliegerangriffe versetzen das Judenhaus immer öfter in Angst, Klemperer kommt nur langsam mit seiner Arbeit voran und Evas Nerven versagen zunehmends.


"Judengesetze":
06.02.40: Entzug der Kleiderkarte
29.02.40: kein Fernsprechanschluss
01.09.40:Verpflichtung zum Tragen des Judensterns &Verlassen des Wohnbezirks nur mit Genehmigung
26.12.41: Verbot der Nutzung öffentlicher Fernsprecher


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