Dienstag, 13. Oktober 2015

Er ist wieder da - Kinofilm

Erschreckend realistisch umgesetze Verfilmung einer kontrovers diskutierten Romanvorlage

Romanvorlage 

  • Autor: Timur Vermes
  • Verlag: Eichborn 
  • Erschienen: 21.September 2015
  • Seitenanzahl: 396
  • Preis: 19,33 Euro
  • ISBN: 978-3-485-02815-8 

Vermes' Roman spaltet Deutschland in zwei Meinungen: In einigen Talkshows diskutiert, provoziert der Roman mit der Frage: Darf man mit Hitler lachen? Das Cover zeigt den Titel auf weißem Hintergrund dargestellt als typischen Hitler-Bart, und der Preis des Buches spielt auf sie Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 an. In der Geschichte sympathisiert der Leser mit der Schreckensfigur, und verliert die Distanz zu seinen Gräueltaten. Nichts desto trotz ist der Humor des Autors, mit dem er Hitler das Internet, Fernsehen und die Gesellschaft erkunden lässt unvergleichlich und zum schreien komisch. Die filmische Umsetzung ist eine Erweiterung des Rahmens, der einer Reportage über das menschliche Geschichtsbewusstsein in Form einer unterhaltsamen Polit-Satire nahe kommt.




Kinofilm

  • Kinostart: 08.Oktober 2015
  • Länge: 1h 56 min
  • Altersbegrenzung: freigegeben ab 12 Jahren
  • Gernre: Parodie & Satire
  • Regisseur: David Wnendt
  • Darsteller: Oliver Masucci, Fabian Busch, Christoph Maria Herbst, Katja Riemann, Michael Kessler
  • Produktionsland: Deutschland

Handlung

Wir schreiben das Jahr 2014, der erste Weltkrieg jährt sich zum hundertsten Mal und der zweite ist längst aus den Bewusstsein vieler Menschen verschwunden. Da taucht plötzlich mitten auf einem Berliner Grünstreifen ein Mann mit Offiziersmütze, Uniform und Bärtchen auf, der den Weg zur Reichskanzlei wissen will und darauf besteht, mit 'Führer' angesprochen zu werden. Es ist Adolf Hitler, der in seiner wahrhaftigen Gestalt mit alter Grausamkeit und Ideologie fast 70 Jahre nach seinem vermeintlichen Tod im Deutschland der Neuzeit angekommen ist. Doch alles ist anders als 1945: Der Türke ist in Berlin angekommen und eine "klobige Frau mit dem Gesichtsausdruck einer Trauerweide" regiert die sogenannte Bundesrepublik. In einem Zeitungskiosk gestrandet, mit der Studie der aktuellen Geschehnisse beschäftigt, beschließt er, seiner Vorsehung zu folgen und die Menschen endlich unter seiner Macht zu vereinen.
Am anderen Ende der Stadt verliert gerade der hoffnungslose Filmemacher Fabian  seinen Job, und erkennt seine Chance zum beruflichen Neueinstieg, als er auf die vermeintliche Reinkarnation Hitlers trifft. So beginnt eine verrückte Reise durch ganz Deutschland, eine Bestandsaufnahme der Haltungen der Menschen gegenüber der aktuellen Politik. Mit original Mitschnitten der Begegnungen verwandelt sich der Film von einer komödiantischen Satire zu echter Gesellschaftskritik und erschreckender Warnung. Ob an im Fischrestaurant auf Sylt, bei der Hundezüchterin auf dem Land oder NPD-Aufmärschen, die Zustimmung und die Verdrossenheit gegenüber den aktuellen Lage ist enorm. Zwar glaubt keiner an seine Echtheit, trotzdem überkommt dem NPD-Vorsitzenden bei der Begegnung mit Hitler der Nationalstolz und das Ehrgefühl, und auch der Tenor der Mittelschicht tendiert in Richtung Fremdenhass und Intoleranz. Stammtischparolen und Pauschalisieren, Reaktionen, die Oliver Masucci in seiner Rolle provoziert, aber deutliche Zustimmung erfährt. Masucci, stets in seiner Rolle mit ernstem Blick und Starrsinn, hält uns mit dieser Bestandsaufnahme den Spiegel vor und zeigt: Es ist mehr rechtes Gedankengut vorhanden als wir denken mögen, und stellt uns vor die Frage: Wie würden wir reagieren wenn Hitler tatsächlich wieder in die Mitte unserer Gesellschaft treten würde? Würden auch wir ihn zum Fernsehstar machen, oder die Gefahr erkennen? Anhänger seiner Ideologie gäbe es scheinbar genug...

Persönliche Meinung 

Bereits Timur Vermes' Romanvorlage wirft Kontroversen auf: darf man statt über, mit Hitler lachen? Im Buch sympathisiert der Leser automatisch mit dem etwas hilflosen und mitleiderregenden Hitler, der beim Fernsehschauen am versäumte Propagandapotenzial für die deutsche Bevölkerung verzweifelt, oder auf die Frage nach seinem Namen immerfort und mit eisernem Blick 'Hitler, Adolf' antwortet. Der Film aber schweift von der eigentlichen Geschichte ab, und ergänzt die Handlung durch die Investigation der Bevölkerung, und wirkt dadurch erschreckend authentisch. Er stellt vordergründig nicht die Frage nach der Emphatie für Hitler, sondern nach dem Gefahrenpotenzial der Gesinnungen unserer Mitbürger. Besinnunglos gehen die Probanden aus dem Videomaterial auf Hitlers provokante Parolen ein, schimpfen auf die Regierung und verlangen Fotos und Selfie mit dem Diktator. In wie weit sind wir fähig, rechte Strukturen in unserer Gesellschaft früh genug zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken? Ist Deutschland nicht längst von Rechten unterwandert, und in wie weit können wir uns überhaupt von unserer Vergangenheit befreien? Lässt das Buch das Ende offen und bereitet den Weg für eine Fortsetzung, schließt der Film mit einem vernichtenden Urteil über die historische Reflexionsfähigkeit unserer Gesellschaft.  Im Gegenzug zeigt der Film auch Sequenzen, in denen sich die Menschen von Hitler abkehren, ihn beschimpfen und ihre Angst zeigen; mehrheitlich sind sie aber begeistert von der kommerzialisierten Figur, der Hetze gegen das vermeintliche Übel für das deutsche Kulturgut. Hitler wird im Jahr 2014 zum Internetstar, die Sender streiten sich um sein Programm, und auch Fabian schöpft das Potenzial für seine Karriere aus. Letztendlich ist er der einzige, der die drohende Gefahr erkennt. Allerdings wird er von der Sensationsgier und Besessenheit der Zuschauer übermannt, und sorgt für einen dramatischen Ausgang der Komödie.
Viele Fans hatten sich zwar Christoph Maria Herbst, der bereits das Hörbuch eingelesen hatte, als Hitler-Darsteller gewünscht. Herbst hätte Rolle mit seinem unvergleichlichen Akzent wahrscheinlich noch realistischer verkörpern können. Aber Oliver Masucci beweist großes schauspielerisches Talent wenn er in keinem der Interviews mit den Bürgern oder als Gast in den verschiedenen bekannten Talksendungen aus seiner Rolle fällt. Der Film punktet zudem mit vielen prominent besetzten Nebenrollen, wie Katja Riemann und Christoph Maria Herbst als erfolgsorientierte Senderchefs, oder Frank Plasberg und Jörg Thadeusz, die ihre eigenen TV-Shows nachstellen. Vor allem aber überzeugt er durch seine Verbindung von Fiktion und Realität, es ist eine politische Investigation, die Angst macht, aber wachrüttelt. Der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt, eine Warnung, die wir ernst nehmen sollten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen