Sonntag, 4. Oktober 2015

25 Jahre geeintes Deutschland - die Geschichte vom Wunsch nach Einigkeit

Beitrag zur Entwicklung des Nationalstaatsgedankens und der friedlichen Revolution in der DDR im Rahmen einer Feierstunde anlässlich des 25.Tags der Deutschen Einheit:

„Ab morgen Nacht sind wir 45 Jahre nach Kriegsende wieder für unser Schicksal verantwortlich. (…) Die Nachkriegszeit ist endgültig vorbei.“, so berichtete die Tagesschau am 01.10.1990. Wieder 25 Jahre später können wir Schüler uns ein Leben in einem geteilten Deutschland nicht mehr vorstellen; ein System, gebaut auf Unfreiheit und Repression - weit weg von unserer Lebenswirklichkeit. Die Deutsche Einheit scheint wie die Erfüllung der Geschichte unseres Landes, die Verwirklichung des Wunsches nach einem Nationalstaat, der sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte zieht. Der Weg zu dem heutigen Deutschland ist von vielen Irr- und Umwegen gezeichnet, und geprägt von dem Streben nach Einheit.

Es ist kein übersteigerter Patriotismus, sondern vielmehr den Umständen im Deutschland nach dem Wiener Kongress geschuldet, dass Hoffmann von Fallersleben im Jahr 1840 komponiert:
„Einigkeit und Recht und Freiheit für das Deutsche Vaterland
Danach lasst uns alle Streben, brüderlich mit Herz und Hand“
Territoriale Einheit für die Einzelstaaten, die Deutschland wie einen Flickenteppich zusammensetzten; Eine Verfassung nach den Idealen der Französischen Revolution auf Basis von Menschenrechten und Demokratie sowie Freiheit für einen geeinten Deutschen Staat.
Deutschland ist längst eine Kulturnation, vereint durch Sprache, Werte und Vergangenheit, die Bestrebungen zur territorialen Einheit unter gemeinsamer Regierung werden jedoch im Zuge der Angst vor einer Hegemonialstellung Deutschlands in Europa unterbunden. Pressezensur, Überwachung und Bestrafung für regimekritische Äußerungen sind die Instrumente der politischen Repression. Die Karlsbader Beschlüsse leiten die Biedermeierzeit ein, und damit die Anpassung der Gesellschaft an die bestehenden Systeme, die Flucht ins Private und Bürgerliche als Rückzug aus den politischen Geschehnissen der Zeit. Doch die revolutionären Kräfte in Deutschland können nicht unterbunden werden, Kundgebungen wie das Wartburgfest oder das Hambacher Fest sind Ausdruck des Dranges  nach Souveränität und Einheit. Künstler, das liberale Bürgertum, Akademiker und Mitglieder der verbotenen Burschenschaften demonstrieren unter Schwarz-rot-goldener Fahne gegen die europäische Politik zur Wahrung der Pentarchie unter den Großmächten. Die Proteste gipfeln in der Deutschen Revolution, in der eine konstituierende Versammlung die Verfassung eines geeinten Deutschen Staates auf Basis einer parlamentarischen Monarchie schaffen soll. Doch auch hier werden die Hoffnungen der Bürger nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König enttäuscht. Nach dem Scheitern der Revolution wird durch die Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich die Einigung Deutschlands erreicht – mittels Gewalt und  Annexionen. Die Kaiserreichsgründung im Jahr 1871 erfolgte noch in den Wirren des Deutsch-Französischen Kriegs, die Proklamation begleitet von Militärs. Zwar soll eine Parlamentarische Monarchie nach dem Vorbild der Deutschen Revolution die Meinung des Volkes im Reichstag repräsentieren, doch die Ambivalenz im Verfassungssystem schreibt der Volksvertretung nur eingeschränktes Mitbestimmungsrecht zu. Nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Zuge der Eroberungskriege Napoleons im Jahr 1806 wird Deutschland nach 65 Jahren wieder zu einem souveränen Nationalstaat. Doch der aufkommende Imperialismus der europäischen Großmächte und die „Platz-an-der- Sonne- Politik“  Willhelm des II. stürzt die Welt in die Urkatastrophe des 20.Jahhunderts, den 1.Weltkrieg. Das Kaiserreich verliert den in seinen Dimensionen ungeahnt grausamen Krieg, und wird im Waffenstillstandsabkommen zu einer Neuordnung in einer parlamentarischen Staatsform aufgefordert. In den revolutionären Unruhen im November 1918 wird die Weimarer Republik gegründet, die nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 in einer nationalsozialistischen Diktatur endet. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust kennzeichnen das wohl dunkelste Kapitel der Deutschen Geschichte. Nach der bedingungslosen Kapitulation im Mai ’45 verliert Deutschland erneut seine Staatlichkeit. Die Terrorherrschaft ist vorüber, doch die Zukunft eines gesamten Volkes ungewiss. Wieder wird das deutsche Territorium aufgeteilt und auseinandergerissen. Die Besatzungszonen der Alliierten ebnen den Weg für die Teilung Deutschlands. Im Westen des Landes entsteht die Bundesrepublik Deutschland und im Osten mit der Deutschen Demokratischen Republik ein Sattelitenstaat der Sowjetunion. Ein Land unter dem Demokratiebegriff des Kommunismus, ein totalitäres Regime, Planwirtschaft.

Der Weg in den „goldenen Westen“ scheint für viele die bessere Alternative zum sozialistischen System der DDR zu sein. Als Reaktion auf die Massenfluchtbewegungen und auf die Gefahr des Ausblutens ihres Staates hin lässt das SED-Regime die Grenze zur DDR abschotten. Aus der Aussage „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ entsteht in der Nacht zum 13.August 1961 die Berliner Mauer. Nach der Zweiteilung eines Landes wird hier eine Stadt auseinandergerissen, Familien getrennt und Schicksale besiegelt. Während im Westen das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre floriert, sind im Osten Nahrungsmittel knapp, die Menschen unzufrieden. Die Frustration spiegelt sich im Volksaufstand vom 17.Juni 1953, in der DDR-Bürger ihren Unmut gegenüber der Regierung äußern.
Ein Beteiligter erinnert sich: „Die Situation unserer Kollegen wurde kurz bekannt gegeben. Innerhalb ganz kurzer Zeit kamen die Kollegen, in Arbeitskleidung, so wie wir waren in Holzpantinen, und nur mit Hemd usw. bekleidet. Dann haben wir uns formiert zu einem Zug von etwa 300 bis 500 Leuten und sind auf der Straße zum Krankenhaus marschiert.“ Der Versuch eines Historikers die Beweggründe der Aufständischen zu formulieren lautet: „Die Bauarbeiter  agierten als Kämpfer ohne Pathos. ’Kollegen, reiht euch ein – wir wollen freie Menschen sein!’ Es ging nicht um die Verwirklichung einer fremden Idee sondern um die Realisierung einer eigenen, menschenwürdigeren Existenz. Nicht das Versprechen der Freiheit, sondern die unmittelbare Handlungsfreiheit, hier und jetzt: Runter vom Gerüst, ran an die Regierung, raus aus den Gefängnissen, rüber über die Grenze – der Drang nach elementaren Freiheiten als Unterpfand der großen allgemeinen Freiheit, das war das bewegende Motiv der Bauarbeiter und des ganzen Volksaufstandes.“ Für die Forderungen nach Freiheit und Demokratie nach dem Vorbild des Westens lassen mehr als 50 Menschen ihr Leben, das SED Regime lässt in Berlin Panzer auffahren um die Demonstration aufzulösen.



Berthold Brecht reflektiert den Aufstand in gekonnt pointierter Weise:


„Die Lösung: Nach dem Aufstand des 17.Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter verteilen,
auf denen zu lesen war, dass das Volk
das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
nicht einfacher, die Regierung
löste das Volk auf und
wählte ein anderes?

In der fatalistischen Ironie des Gedichts zeigt sich die gesamte Paradoxie der Lage im sozialistischen Staat.

Auch Liedermacher Wolf Biermann, 1953 freiwillig in die DDR übergesiedelt, denkt nun ähnlich über die praktische Verwirklichung seiner kommunistischen Ideale. In der Retrospektive resümiert er: „Diese Hoffnung auf ein kommunistisches, soziales Paradies ist nach meiner heutigen Meinung der sichere Weg in schlimmste Höllen.“ Seine Ausbürgerung im Jahr 1976 bricht wie eine Welle über die Szene der Musiker und Künstler herein und gipfelt am 4.November 1989 in der größten Protestdemo der Geschichte des Staates. Seine Worte „Wer sich nicht in Gefahr begibt kommt darin um“ hallen bei den DDR- Bürgern nach. Eine halbe Millionen Menschen versammeln sich auf dem Alexanderplatz – Wortführer sind Prominente wie Schauspieler Jan Josef Liefers, Ulrich Mühe oder Katharina Thalbach. Aber Oppositionelle und Aktivisten versammeln sich schon seit 1981 in der Leipziger Nikolaikirche zu wöchentlichen Friedensgebeten, im Herbst 1989 sind es bis zu 70.000 Menschen. Mit der Parole „Wir sind das Volk“ ziehen jetzt Hunderttausende im ganzen Land bei den Montagsdemonstrationen mit Kerzen und Plakaten auf die Straße, um friedlich für ein geeintes Deutschland zu protestieren. „Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“, so SED-Politiker Horst Sindermann.  Es war die Gewaltfreiheit und der Sanftmut der Demonstranten die den Weg zur friedlichen Revolution mit dem Fall der Berliner Mauer am 09. November ebnen. „Wir Deutschen sind jetzt das Glücklichste Volk der Welt“ reflektiert bereits einen Tag später Politiker Walter Momper und betont dabei die Einheit des Deutschen Volkes ein Jahr vor der eigentlichen Wiedervereinigung.
Am 3.Oktober weht die Schwarz-rot-goldene Flagge auf dem Reichstagsgebäude in West-Berlin, und vereint die versammelten Menschenmassen beider Staaten unter ihrem Zeichen. Sie ist das Symbol  für das endlich wiedervereinigte Deutschland und die Erfüllung der Losung der Friedlichen Revolution „Wir sind EIN Volk“.

Nicht nur damals sind Menschen vor Gewalt, Repression und Unfreiheit geflohen, heute suchen mehr Menschen denn je Zuflucht in Deutschland. Die Deutsche Außenpolitik übernimmt große Verantwortung im Weltgeschehen dieser Tage. Die Regierung der Bundesrepublik dient als internationales Vorbild, die Demokratie auf der Basis von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Menschenrechten ist Ausdruck der langen Bestrebungen nach Deutscher Einheit unter diesen Aspekten.
Doch auch heute gehen Menschen montags auf die Straße und demonstrieren gegen die herrschende Regierung. Sie rebellieren nicht gegen die Erhöhung von Arbeitsnormen, Staatliche Verfolgung oder eingeschränkte Handlungsfreiheit, sondern gegen den Einfluss fremder Kulturen in ihrem Vaterland. Patriotismus bekommt hier ein neues Gesicht, äußert Hoffmann von Fallersleben seinen nationalen Stolz aus der Situation eines noch nicht vorhandenen Deutschlands, agieren die Demonstranten dieser Tage aus der übersteigerten Motivation, ihr Kulturgut zu schützen. Vielleicht handeln auch sie nur aus der Überzeugung heraus, ihren nationalen Stolz zu verteidigen, muss aber nicht besonders ein Staat wie Deutschland durch eine Varietät von verschiedenen Lebensarten und Ethtiken geprägt werden – im politischen Tagesgeschäft so wie in der Gesellschaft?

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