Sonntag, 26. Juli 2015

Der Trafikant - Robert Seethaler (Rezension)

Vom Erwachsenwerden in einer extremen Zeit und einer besonderen Beziehung zu Sigmund Freud


  • Autor: Robert Seethaler 
  • Verlag: Kein & Aber 
  • Preis: 9,90 Euro  (Taschenbuch)
  • ISBN: 978-3-0369-5909-2


Über den Autor

Robert Seethaler (*1966 in Wien) ist ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller und Drehbuchautor. Er hat einen angeborenen Augenfehler und besuchte eine Grundschule für Sehnehinderte. Für seine Veröffentlichungen bekam er brreits mehrere Preise und Stipendien, sein Drehbuch zu "die zweite Frau erhielt 2009 drei Grimme Preise. Auch als Schauspieler ist Seethaler aktiv.


Inhalt

Wien der 1930iger Jahre: Franz ist von einem Provinz-österreichischen Salzkammergut nach Wien gezogen, um eine Lehre als Trafikant bei dem alten Otto Trsnjek zu beginnen, um sich als eigenständiger junger Mann zu beweisen. Während sich draußen die politischen Ereignisse überschlagen, scheinen die Meldungen den kleinen Zeitschriftenladen nicht zu erschüttern. Franz erfährt in dem kleinen Geschäft das Leben in der Stadt, das so anders ist als das in dem verschlafenen Dorf. Auch seine erste Liebe findet er im fremden Wien, die Böhmin Anezka bricht ihm jedoch schnell das Herz und treibt ihn in seine erste Lebenskrise. In seiner Verzweiflung und Überforderung mit dem so neuen und unheimlichen Gefühl der Liebe wendet er sich gerne an einen seiner treuesten Stammkunden, Professor Sigmund Freud, und entwickelt eine tiefe Freundschaft zu ihm. Als die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten letztendlich auch die Straßen von Wien erreicht, können aber selbst die blinden Fenster der alten Trafik die Augen nicht mehr vor dem drohenden Unheil verschließen: Der alte Otto Trsnsjek wird von der Gestapo abgeholt und kommt auf ungeklärte Weise in einer Haftanstalt ums Leben, und auch Freud emigriert nach London aus Furcht vor den Auswüchsen des propagierten Judehasses. Franz zieht es den Boden unter den Füßen weg, er verliert die einzigen Menschen, zu denen er in der Fremde Vertrauen gefasst hat, und leidet an unergründlichem Heimweh nach seiner Mutter und der Ruhe und Beständigkeit des Dorflebens. Doch die Erfahrungen aus Wien haben ihn reifen lassen, und er stellt sich den Herausforderungen seiner Zeit. Ein wunderbares Buch über das Selbstständig werden und den Abschied in einer Welt, die ein schnelles Erwachsenwerden erfordert.


Persönliche Meinung

Inmitten des bedrohlichen politischen Umbruchs und gesellschaftlichen Wandels im Nazi-Regime sucht ein siebzehnjähriger Junge nach Liebe und Heimatgefühl in der Fremde, entdeckt dabei Liebe und Sehnsucht und reift zu einem jungen Mann heran. Feinfühlig und aufmerksam erzählt Seethaler eine Geschichte in der Malerischen Kulisse des verschlafenen Wiens, das in dieser Zeit auf brutale und gnadenlose Weise wachgerüttelt wird.
Siegmund Freud zeichnet Seethaler als den gebrechliche alte Mann, der er zum Ende seines Lebens gewesen ist. Dadurch dass er den weltbekannten und zur damaligen Zeit höchst umstrittenen Psychoanalytiker in seinem privaten Umfeld darstellt und besonders auf das Verhältnis zu Tochter Anna eingeht, zeigt er ihn in einem neuen Licht.
Franz' Träume, die ihn in Folge seiner schmerzhaften Verluste und seines Heimwehs plagen, spiegeln die Stimmung der Zeit wieder und zeigen auf erschütterliche Weise, wie ein junger Mensch die Erlebnisse verarbeitet. Auch das innige Verhältnis zu seiner Mutter zeichnet Seethaler in vielen Karten und Briefen, und verdeutlicht damit den Ablösungsprozess und das Selbstständigwerden des jungen Mannes.
Kraftvoll lässt er das Buch mit Franz' ganz eigener Rebellion gegen die Naziherrschaft enden, und lässt den Leser mit einer Art Genugtuung zurück. Denn obwohl Franz sich letztendlich den Nazis beugen muss, hat er doch ein Zeichen gegen den Hass und Rassenpolitik gesetzt.


Hier geht's zur Lit.Cologne-Lesung von Robert Seethaler & Hanns Zischler im März 2015

Hier geht's zur Rezension von Seethalers "Die Biene und der Kurt'



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