Dienstag, 21. April 2015

Du bist gegangen (Ulrich Schaffer) - Rezension

Was passiert, wenn sich die Liebe nach 20 Jahren Ehe verändert?
  • Autor: Ulrich Schaffer
  • Erschienen: 2014
  • Preis: 15 Euro
  • Seitenanzahl: 157


Über den Autor

Ulrich Schaffer (*1942) lebt als freier Fotograf und Schriftsteller in Kanada. Er ist studierter Anglist und Germanist und hat als Dozent für europäische Literatur an einem College in Vancouver gearbeitet. Die Gesamtauflage seiner Werke beläuft sich auf über fünf Millionen Exemplare; jedes Jahr hält er Vorträge und Lesungen in Europa



Inhalt

Was bedeuten 20 Jahre Ehe, wenn die Liebe mit der Zeit an Kraft und Bedeutung verloren hat? Wie kann der Verlassene die Gründe für die Abwendung des Partners nachvollziehen, und in das eigene Leben zurückfinden? Und die alles entscheidende Frage: Wird der zurückkommen und wenn nicht, wie wird die Zukunft ohne ihn aussehen?
Beeindruckend mitreißend und echt stellt Schaffer die innere Gefühlswelt der Sitzengelassenen Julia dar, deren Mann Michael sie für eine Jüngere Frau verlassen hat. Ihre Gedanken, Gefühle, Emotionen, Ängste und Erinnerungen lässt er Julia in mehreren Briefen an Michael aufschreiben, und eröffnet dem Leser eine Reise durch die verschiedensten Arten von Liebe und Zuneigung; eine völlig neue Dimension von Respekt und Anerkennung, die sie trotz der großen Lebensenttäuschung für ihn empfindet. Ihre Liebe hatte sich zwar mit den Jahren verändert, aber sie waren immer mit ihr gegangen. Die Beziehung der beiden war besonders: sie hatten sich immer geschätzt, und bemüht, füreinander da zu sein.
Aber was zählt die gemeinsame vergangene Zeit, wenn keine mehr in der Zukunft liegt? Viel. Denn was für immer bleibt, sind die Erinnerungen. Die Menschen, mit denen wir durchs Leben gehen, formen unsere Persönlichkeit und hinterlassen ihre ganz persönlichen Fußabdrücke in unseren Herzen. Ihre Dankbarkeit und der Glaube an die Sinnhaftigkeit der Trennung sind es, die die Julia letztendlich den Willen, ihre Leben allein zu bestreiten und sich tief in sich drin nach ihr zu suchen, nicht aufgeben lassen, und die Wut auf den Egoismus ihres Mannes unterdrücken. Sie lernt wieder, ein unabhängiges Leben zu führen, sich selbst zu spüren, und die Gründe für das Scheitern zu untersuchen. Dabei geht sie objektiv und fast analytisch vor, hält ihm und sich selbst den Spiegel vor, ohne ihm je etwas vorzuwerfen oder ihn allein für die Trennung verantwortlich zu machen. In Schaffers Briefen wird die Liebe zu einem fast philosophischem Phänomen, denn sie ist so viel mehr als ein psychologisches Konstrukt.


"Ich entdeckte die Zartheit, die nötig ist, um durch das Leben eines anderen zu gehen, ohne es zu zerstören. Und ´wenn ich etwas nicht verstand, dann traute ich mich, dich zu fragen und deine Antworten waren Wellen, die mir Welten erschlossen. Und dann bist du gegangen."




Persönliche Meinung

Kraftvoll und sanft, mal leise und oft laut, persönlich und objektiv reflektiert Julia ihre vermeintlich perfekte Beziehung. Aber eine Liebe ohne Fehler gibt es nicht, denn im Inneren hatten die Grundpfeiler des Gebildes längst angefangen zu bröckeln. Bewundernswert und aufrichtig beschreibt Julia ihre ganz persönlichen Eindrücke und Erinnerungen die sie zusammen mit Michael erleben konnte; sie schätzt, dass er ihren Weg geprägt hat, sie aber trotzdem in der Lage ist, ohne ihn zu leben. - Abhängigkeit voneinander und Eigenständigkeit zugleich sind Grundvoraussetzung jeder Beziehung und Trost in der Trennung. Bis zum Schluss hält Julia an der Hoffnung fest, dass ihr Mann zu ihr zurück kommt, auch wenn sie die Trennung emotional überwunden zu haben scheint. Aber 20 Jahre Ehe will und kann sie nicht ganz wegwerfen...
Schaffer scheint in den Briefen ganz persönlichen Gedanken über seine eigene Beziehung zu verarbeiten, und eröffnet damit einen sehr intimen Einblick in sein Empfinden von Liebe. Parallelen der Protagonisten zu seinem eigenen Leben lassen sich nicht verleugnen.
Ungewöhnlich, wie einfühlsam und tiefgründig Schaffer als Mann das Innenleben einer Frau nachvollziehen kann. Ich als relativ junge Leserin verstehe zwar nicht viel von dieser Liebesthematik, aber durch Schaffers kleines Wunderwerk der Gefühle habe ich eine Ahnung von ihrer Bedeutung, und vor allem von ihren verschiedenen Formen und Farben bekommen. Ein kraftvolles Buch, nicht nur für Verlassene und Paare, sondern auch für Menschen, die die eigene Entwicklung unter dem Aspekt der Fremdbeeinflussung durch die Liebe betrachten wollen.


Gedanken zu Schaffers Text "Sand im Getriebe": Hier










Sonntag, 19. April 2015

Fitness & Bodybuildingmesse Köln 8. - 12. April 2015

Anabolika und Sportinnovation

Etwas verspätet möchte ich von meiner Zeit auf der FIBO in Köln erzählen, denn zum ersten Mal habe ich selbst auf einer Messe mitgearbeitet. Fünf Tage lang konnte ich Organisation und Messealltag von allem Seiten kennenlernen, und habe dabei viele nette und interessante Menschen getroffen.
Hauptsächlich bestand meine Arbeit in Hilfstätigkeiten und in dem Verkauf der Sportkleidung aus der ersten eigenen FIBO-Kollektion. Natürlich hatte ich dabei auch genug Zeit, durch die verschiedenen Messehallen zu schlendern, und mir die aktuellen Trends in Sachen Körperformung und sportlicher Selbstoptimierung einmal genauer anzusehen.



Am 09.April öffnete die FIBO als größte Messe ihrer Art die Hallen für alle Sportbegeisterten  und Fitnesshungrigen.

Sogar zum Mountainbiken muss der Sportler nicht einmal mehr vor die Tür treten, die Berglandschaft wird einfach auf eine Leinwand projiziert. Aber mal ehrlich, frische Luft hat doch noch niemandem geschadet!

Zumba ist DER aktuelle Trend im Fitness-Tanzsport! Zumba bringt die Massen in Bewegung, denn bei der typischen Sommer- gute-Laune-Musik ist das Publikum nicht mehr zu halten!
Auch Sängerin und Ex DSDS-Jurorin Fernanda Brandao stellte ihr neues Fitnessprogramm vor. Sie ist leidenschaftliche Sportlerin, und wirbt unter anderem für die Sportmarke Puma.



Respekt vor ihrem Durchhaltewillen, aber ich finde den bestehenden Körperkult und Selbstoptimierungswahn in der Fitnesslobby teilweise einfach nur maßlos übertrieben und gefährlich - außerdem kann ich nicht ganz nachvollziehen was - besonders Frauen - daran finden, in knappen Bikinis ihre Muskeln und Vorzüge zu präsentieren und sich von allen Seiten begaffen zu lassen. Zu viele Muskeln sind einfach nicht mehr ästhetisch - weder bei Frauen noch bei Männern!

Die Kölner Eventlocation "Halle Tor 2" in Müngersdorf - hier fand die große FIBO-Party zum 30-jährigen Jubiläum der Messe am Samstagabend statt. 



Meine gemütliche Arbeitskleidung ganz im Stil der aktuellen FIBO-Kollektion.


Die FIBO 2015 - eine schöne und anstrengende Zeit, aus der ich eine Menge Erfahrungen und neue Bekanntschaften mitnehmen kann. Ein tolles Team steht hinter der Organisation und sorgt für einen reibungslosen Ablauf, und ich bin froh, einige dieser Menschen kennengelernt zu haben.
Fünf Tage ununterbrochenes Laufen und Stehen in der trockenen Hallenluft ist zwar sehr anstrengend, aber ich hatte trotzdem viel Spaß bei meiner ersten Messemitarbeit. Ich hatte die FIBO in den Jahren zuvor immer nur als Besucher miterlebt, und sie so einmal von einer anderen Seite erlebt.






Samstag, 18. April 2015

Weg einer syrischen Flüchtlingsfamilie nach Deutschland

Land der Hoffnung - Deutschland


Was es bedeutet, seine Heimat, Familie und Existenz einfach so zurückzulassen, und in ein anderes, völlig unbekanntes Land zu fliehen, können wir uns kaum vorstellen. Doch in Zeiten wie diesen geht es immer mehr Menschen in den Krisengebieten des nahen Ostens genau so.
Assad, Familienvater mittleren Alters aus Syrien und seine Frau teilen dieses Schicksal: Vor acht Monaten sind die beiden mit ihren Kindern, ein und drei Jahre alt, nach Deutschland gekommen. Hinter ihnen liegt eine wahre Odyssee: von Syrien sind sie nach Libyen geflohen, und über das Mittelmeer hierher gereist. Seitdem lebten in einem Asylheim für Flüchtlinge. Weil aber seine Frau Zwillinge zur Welt gebracht hatte, reichten die Zimmer im Heim nicht mehr aus für die kleine Familie.
Doch Assad hatte das Glück, auf einen Deutschen zu treffen, der sich ihm und seiner Situation annahm. Er und seine Frau hatten sich dazu entschieden, einer Flüchtlingsfamilie bei ihrer Einbürgerung in Deutschland zu unterstützen, und für Assad und seine Familie eine Wohnung besorgt. Auch zu Behördengängen und Arztterminen begleiteten sie ihn. Heute sollte die neue Bleibe endlich für den Einzug hergerichtet werden, doch dafür brauchten Assad und sein Deutscher Unterstützer Hilfe, und eine einige meiner Mitschüler und auch ich erklärten uns zum Anpacken bereit; ich wollte Assad unbedingt kennenlernen und mehr über seine Geschichte erfahren. Man vermutet nämlich, dass in seiner syrischen Heimat als Schneider gearbeitet, und ein bodenständiges Leben geführt hat. Der Bürgerkrieg und die wachsende Gefahr haben ihn jedoch gezwungen, sein dortiges Leben aufzugeben, und die riskante Überfahrt des Mittelmeers zu wagen - ca. 1500 Euro musste er wohl pro Person an die Schmuggler zahlen.
Er und seine Familie hatten Glück, sie sind gesund in Europa angekommen - viele Flüchtlinge überleben die gefährliche Schifffahrt nicht.
Assad wird seine neue Chance in Deutschland nutzen, seine Kinder werden hier aufwachsen - stolz zeigt er uns ein Video von seinem Sohn Iwan und seiner Tochter Ewa auf seinem Handy. Die letzten Wochen sind anstrengend gewesen, besonders für seinen Deutschen Unterstützer. "Wir haben uns wohl etwas übernommen, nochmal würde ich so etwas nicht machen", sagt der heute. Immer mehr Aufgaben seien für ihn dazu gekommen, von bürokratischen Angelegenheiten bis zu der Beschaffung von günstigen Möbeln für die neue Wohnung. Trotzdem bereuen er und seine Frau nicht, sich zu diesem Abenteuer entschlossen zu haben, denn immerhin haben sie einer Familie einen guten Start in ein neues Leben geschaffen. Ich denke, solche Menschen verdienen große Anerkennung, denn ihr selbstloser Einsatz für andere, in der Gesellschaft als fremd und unbekannt stigmatisierte Menschen, ist einfach bewundernswert. Was hätte Assad nur ohne die Deutsche Familie getan? Er würde wahrscheinlich immer noch eineinhalb Zimmer im Asylheim bewohnen, ohne Plan und Perspektive für eine Zukunft für sich und vor allem seine Kinder.


Assad wird nun erst einmal für drei Jahre in Deutschland geduldet - was danach sein wird, steht noch in den Sternen.

Montag, 6. April 2015

Blumige Ostern in der Flora

Die Flora Köln - ein Eldorado für alle Blumen-Fans und Natutverbundenen.
An diesem Ostersonntag habe ich mir die grüne Oase mitten in Köln einmal angesehen.
Ein wunderschöner Park zum Spazieren gehen und entschleunigen im lauten Großstadtdschungel.



Die Flora ist der im Jahr 1864 eingeweihte Botanische Garten Köln.



Auch der WDR-Lokalzeitgarten befindet sich hier: Dieser Bereich wird Woche für Woche von Fernsehgärtner Rüdiger Ramme gestaltet. Live aus der Flora werden jeden Dienstagabend die neuesten Gartentipps ausgetauscht.


In der letzten Ausgabe der Lokalzeit Gartensendung wurde dieses Salatbeet angelegt.





Dieses Bild ist nicht im Kölner Zoo entstanden, sondern im Tropenhaus der Flora. Das hier ist nämlich eine Paradiesvogelblume!




Auch Goethe hat seine Spuren in der Flora hinterlassen

In diesem Sinne wünsche ich Euch einen schönen Rest-Ostermontag und hoffe Ihr konntet ein paar erholsame Tage bei dem schönen Wetter (zumindest in NRW) genießen!


Samstag, 4. April 2015

Tabgebücher des Victor Klemperer 1937-1939

"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten"

Einsamkeit, Depression und Perspektivlosigkeit bestimmen das Leben von Eva und Victor Klemperer in diesen Jahren. Die Judengesetze verbieten Victor Auto zu fahren und die Bibliothek zu nutzen, und auch ihr Haus werden er und seine Frau aufgeben müssen. Als aber im September 1939 der Krieg beginnt, und die lange Phase der Stagnation und Spekulation vorüber ist, gewinnt Klemperer neue Hoffnung auf einen Umbruch. Er sieht den Krieg als Chance, sein baldiges Ende ständig vor Augen.

Victor Klemperer-Denkmal in Halle (Quelle)



"Aber ich bin so unendlich deprimiert was die allgemeine Situation und meine Situation anlangt. Zumeist glaube ich, dass alles ungeschrieben bleibt, und dass nicht einmal mein 18. Jahrhundert fertig wird." (18.01.1937)
Von seinem "18. Jahrhundert" sagt Klemperer, es sei das beste Buch, das er je geschrieben habe, und doch wird es voraussichtlich niemand lesen werden. Auch brennt ihm das Verfassen seiner "Vita Mea" auf der Seele, er verspürt den Drang, sein leben aufzuschreiben, und in dieser unsicheren und hoffnungslosen Zeit seinem Leben einen Fortbestand zu geben.

  "So wird die Abgeschnittenheit jeden Tag schlimmer." (11.02.1937) 
Die Judengesetze verschärfen sich; für Arier wird es immer gefährlicher, Freundschaften mit Nichtariern zu pflegen. Viele Juden fliehen unterdessen ins Ausland in der Hoffnung auf ein neues Leben in Freiheit, nur Klepmerers bleiben zurück. Die Schlinge um ihren Hals zieht sich immer weiter zu, sie sehen sich von der Einsamkeit bedroht. Abende bei Freunden werden immer seltener, trotzdem bietet das Auto ihnen die Möglichkeit, Bekannte und Freunde zu besuchen, oder Fahrten in die umliegenden Gebiete mit ihnen zu unternehmen.

"Es ist trostlos, und doch bleibt mir nicht anderes übrig als meine Arbeit fortzusetzen, nun schon das fünfte Jahr, denn schon seit 33 sitze ich ja nun schon daran." (27.03.1937)
Klemperer will sein Meisterwerk nicht aufgeben - obwohl die politische Situation für die Sinnlosigkeit seiner Arbeit spricht.

"Der Messer zeigt jetzt 38000, im Herbst waren es 37000.  Für diese tausend Kilometer haben wir Hunderte an Steuern und Reparaturen gezahlt, und soviel Enge gelitten. Eigentlich eine Verrücktheit, und doch führen alle Erwägungen zum beibehalten und Durchhalten. Es ist im vollsten Wortsinn tragigkomisch. " (15.04.1937)
Der Wagen bleibt ihr ganzer Stolz, das letzte Bisschen Freiheit und Selbstbestimmung, das ihnen in diesen Zeiten bleibt. Doch der Zustand es Wagens bleibt trotz der ständigen Reparaturen desolat.
Es ist ein großer Widerspruch entgegen die Zeichen der Zeit: Klemperers leben in ihrem eigenen neuen Haus, besitzen sogar ein Auto; doch werden sie von ständigen Geldsorgen und Existenzangst erdrückt. Victor berietet es mittlerweile sogar eins schlechtes Gewissen, dass er Zigarillos statt den minimal billigeren Pfeifen raucht.

"Und bei all der Quälerei immer das Gefühl, wahrscheinlich für den Schreibtisch und die Würmer zu arbeiten. (....) Und an Krieg glaubt wohl auch keiner mehr; man ist zu gewohnt dass das Ausland alles hinnimmt." (02.06.1937)
Die politische Lage scheint still zu stehen - neben der ständigen Angst vor dem Krieg quält ihn immer wieder die Verzweiflung an seinem Werk, gefolgt von völliger Resignation. Enttäuscht von der Stagnation in der Weltpolitik und den innenpolitischen Geschehnissen, verliert Klemperer die Hoffnung mehr und mehr,

"Etwas findet sich immer, wenn man finden will. Und man will. (...) Ist es Stumpfsinn, Philosophie, Alter, oder ist es das Gefühl, in absolut regelloser Zeit zu leben? ich bin nur noch anfallweise bedrückt, lasse die Dinge im Übrigen laufen, und habe stundenweise ein ganz vergnügtes Lebensgefühl. Also jetzt wird unser Garten üppig. Wer wird um das Angst haben, was in vier Jahren geschieht? " (28.06.1937)
Die Juden sind der Willkür der Nationalsozialistischen Ordnung schutz- und rechtlos ausgeliefert. So werden Klemperers gezwungen, einen Gärtner zu beschäftigen, da sie ihren Garten auf Grund ihrer gesundheitlichen Probleme eine Zeit lang nicht pflegen konnten. Geld wird benötigt, das sie nicht haben; längst bekommen sie regelmäßige finanzielle Unterstützung von einem Freund im Ausland.


"Ohne jede geringste Übertreibung: Der Mann schreit mit überanstrengter Stimme wie ein besoffener verfolgungswahnsinniger Arbeiter. Dem Ton entspricht Wortwahl und Inhalt: Dies ist das größte Werk, das je vollbracht wurde (...) Die Mischung aus Würdelosigkeit, Größenwahn, ohnmächtiger Angst ist furchtbar. Furchtbarer nur, das sich Deutschland davon regieren lässt."(19.07.1937)
Klemperers Bild von Hitler aus der Sicht eines Philologen und Linguisten, vor allem aber aus der eines verängstigten und rechtlosen Juden, der sein Ende jeden Tag vor Augen hat.


"Die entsetzliche Stagnation der politischen Lage, das Lavieren Englands usw., nimmt mir alles Mut, ich glaube wieder mal, dass das Dritte Reich noch Jahrzehnte halten kann, und dass es wirklich dem Volkswillen und Volkscharakter Deutschlands entspricht, und in dieser Depression scheint mir mein Tun völlig zwecklos, und scheint es mir so völlig gleichgültig, ob bei meinem Tode ein paar Dutzend Manuskriptseiten mehr oder weniger herumliegen." (06.08.1937)
Das nationalsozialistische Regime ist gestützt auf den Willen der Bürger Deutschlands, zu denen Klemperer sich ausnahmslos gezählt hatte. Die Tatsache, dass die Grausamkeiten und das brutale Vorgehen gegen die Juden von den eigenen Landsmännern gewollt ist, enttäuscht Klemperer so sehr, dass er Depressionen und große Selbstzweifeln verfällt.

"Und immer mehr glaube ich, dass Hitler die Deutsche Volksseele verkörpert, dass er wirklich "Deutschland" bedeutet und dass er sich deshalb halten und zu Recht halten wird. Womit ich denn nicht nur äußerlich vaterlandslos geworden bin. Und auch wenn die Regierung einmal wechseln sollte: mein innerliches Zugehörigkeitsgefühl ist hin." (17.08.1937)  
Klemperer will sich nicht mehr zu einem Volk zugehörig nennen, das die Tyrannei und Schreckensherrschaft eines Einzelnen bestärkt.
Dabei die Paradoxie der nationalsozialistischen Ideologie: Vaterlandsliebe wird vom Regime verlangt, aber ihm als Juden die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft verwehrt.

"Und die Intelligenz und die Wissenschaft prostituiert sich." (12.09.1937)
Zeitung, Radio und Fernsehen propagieren ein ausnahmslos heroisches Bild vom neuen "Großdeutschland" und glorifizieren die Politik Hitlers. Zensur und Meinungsmache bestimmen nicht nur den Alltag, sondern sind längst auch in Bildung und intellektuellen Kreisen und angelangt.

"Aber der Mut sinkt immer tiefer, wie sich die Manuskriptblätter aufspeichern. Im Grunde ist das Ganze Selbstbetrug und Zeittotschlagen. In der gegenwärtigen Situation finde ich rein gar nichts, woran sich die Hoffnung auf einen Umschlag stützen ließe. Hitlers Rede in Nürnberg von der moralisch und geistig minderwertigen jüdischen Rasse - so dick mein Fell allmählich geworden und so wahnsinnig der Vorwurf (und die Behauptung des rein jüdischen Bolschewismus) ist, peinigt es mich doch, den Rest meines Lebens hier verbringen zu müssen. Und ich bin immer überzeugter, dass Hitler wahrhaftig der Sprecher so ziemlich aller Deutschen ist." (20.09.1937)
Der Glaube an die Sinnhaftigkeit seines "18.Jahrhunderts" schwindet fast endgültig dahin, und Klemperers Abneigung gegen Hitler wächst von Tag zu Tag.
Der hat sein Volk voll im Griff, und sichert sich durch Stimmungsmache und Wahlen, die nur den äußeren Anschein machen, geheim zu sein, seinen politischen Erfolg.

"So erlebt man Geschichte. Wie wissen vom Heute noch weniger als vom gestern und nicht mehr als vom Morgen." (11.09.1938) 
"Einen halben Tag lang meinte ich, nun müsste der Mut zum Selbstmord aufgebracht werden. Dann kam wieder das alte Zustand: Stumpfheit, Wartenwollen (...)" (02.10.1938) 
Zum ersten mal denkt Klemperer an Suizid, die Sinnlosigkeit seines dahin Lamentierens stürzt ihn immer tiefer in die Depression, und auch sein Herzleiden lässt ihn physisch und psychisch immer schwächer werden. Aber die Sorge um Eva überwiegt; er kann sie nicht allein zurücklassen, sie wäre finanziell ruiniert, würde seinen Tod nicht verkraften können.

"Seitdem peinigt uns beide unablässig die Frage: Gehen oder Bleiben? Zu früh gehen, zu lange bleiben? Wir bemühen uns immerfort, die subjektiven Gefühle des Ekels, des verletzten Stolzes, alles stimmungshafte auszuscheiden, und nur die Konkreta der Situation abzuwägen." (27.11.1938) 
Mit dem Hausbau haben Klemperers ihren Lebensabend in Dölzschen besiegelt, in dem kleinen Dorf eine Heimat gefunden. Nun zwingt sie die völlige Perspektivlosigkeit in Deutschland zu ernsthaften Überlegungen, ins Ausland zu emigrieren.
Außerdem verbietet ein neues Judengesetz das Autofahren; für Victor und Eva bedeutet das die völlige Gefangenschaft in der Enge der Ausweglosigkeit, hatten ihnen die Fahrten in ihrem Wagen doch immer wieder Ausflüchte aus dem eintönigen und erdrückenden Alltag ermöglicht. Auch wurde Klemperer ein absolutes Bilbliothekenverbot auferlegt, seine Schreibarbeit steht somit dem sicheren Ende bevor. Die Lage ist düsterer denn je, ihr Leben in Deutschland ist nur noch eine Frage der Zeit. Aber ist es nicht schon zu spät für ein neue Existenz im Ausland...?

"Überall diese abscheuliche Hoffnungslosigkeit. Und ich glaube, bei den ausländischen Regierungen auch. Sie zittern alle, sie halten Hitler für unbesieglich - und deshalb ist er unbesieglich." (09.04.1939)
Die Notwendigkeit der Emigration, der Druck, Deutschland schnellstmöglich zu verlassen bevor der Radikalismus und Fatalismus sie unter sich begräbt, dazu die unbändige Machtdemonstration und Kriegsbereitschaft der Nationalsozialisten bereitet Eva und Victor große Sorgen und gesundheitliche Probleme. Doch es scheint, als gebe es auch im Ausland keine Möglichkeit auf eine bessere Zukunft, sie sind zu Abwarten und Arrangieren gezwungen. Unterdessen werden die Lebensmittel immer knapper, auch Lebensmittelkarten können die Versorgung nicht sichern. Klemperers befürchten, ihre Katze töten zu müssen, da das Fleisch für ihre Ernährung nicht mehr ausreicht.

"Wenn die Tür des Schlachthauses hinter unsereinem geschlossen ist, dann sind wir der übrigen Herde draußen gleichgültig. Hier liegt es umgekehrt: Wenn einer aus dem Schlachthaus heraus ist, dann fragt er nicht mehr nach denen drin." (03.05.1939)
Immer weniger Briefe von Freunden und Bekannten erreichen Klemperers, sie fühlen sich zunehmend einsam und zurückgelassen.

"Ich weiß nicht, ob die Zeit stillsteht oder fortschreited. Manchmal, eigentlich täglich, scheint es mir, diesmal renne er in sein Verderben." (07.06.1939)
Der Krieg steht kurz bevor, die Meinungen im Volk über Zeitpunkt, Anlass und Gegner gehen weit auseinander, niemand weiß so recht, welcher Theorie er Glauben schenken soll. Inmitten des politischen Wirrwars und der Radikalität der Judengesetze lebt Klemperer ohne jede Perspektive oder Hoffnung auf eine Zukunft dahin. Auch seinen Namen hat man ihm inzwischen genommen, er heißt jetzt Victor-Israel, um ihn in seiner jüdische Abstammung kenntlich zu machen.
Er versucht, nicht über die Sinnhaftigkeit seines Daseins und Arbeitens nachzudenken.

 "Absolutes Stillschweigen aller Angehörigen und Bekannten. Absolute Isolation." (20.06.1939)
Für ihre arischen Bekannten wird es zunehmend gefährlicher, den Kontakt zu Victor und auch Eva als arische Frau eines Juden zu halten. Jeder muss in diesen Tagen um das eigene Überleben sichern.
Ein naher Bekannter nimmt sich unterdessen das Leben.

"Alles in allem: Nachrichten und Maßnahmen ernst, Volksstimmung absolut siegesgemäß, zehntausendmal überheblicher als 14.Dies gibt entweder einen überwältigenden, fast kampflosen Sieg, und England und France sind kastrierte Kleinstaaten, oder aber eine Katastrophe, zehntausendmal schlimmer als 1918. Und wir mitteninne, hilflos und wahrscheinlich in beiden Fällen verloren...Und doch zwingen wir uns, und es gelingt auch auf Stunden, unseren Alltag weiterzuleben: vorlesen, essen (so gut es geht), schreiben, Garten. Aber im Hinlegen denke ich: Ob sie mich diese Nacht holen? Werde ich erschossen, komme ich ins Konzentrationslager? Das Warten im friedlichen, ganz weltabgeschiedenen Dölzschen ist besonders schlimm. Man achtet auf jeden Laut, auf jede Miene, auf alles. Man erfährt nichts. Man wartet auf die Zeitung und liest nichts heraus. Im Augenblick neige ich doch zu der Meinung, der Krieg mit den Großmächten kommt." (03.09.1939) 
Die politischen Ereignisse überschlagen sich im September '39, der 2.Weltkrieg beginnt. Klemperers wird angekündigt, ihr Haus bis zum April zu räumen. Ihr kleines Stückchen Zuversicht und Beständigkeit, für dessen Bau sie mit unbändigem Willen gekämpft haben, wird ihnen unter den Füßen weggerissen.
Allerdings empfängt Klemperer die Hiobsbotschaften, auch von Fahr- und Bibliotheksverbot, mit erschreckender Emotionslosigkeit und Resignation. Die Hoffnung auf die weitere Entwicklung der Ereignisse und das Ende des Nazi-Regimes lassen ihn auf eine positive Wendung vertrauen.

"Trotzdem ist diese Weihnacht nicht so trostlos wie die vorherige. Damals war Friede, der Westen schien endgiltig kapituliert zu haben, Hitler für unabsehbare Zeit gesichert zu sein. Und jetzt ist die Entscheidung im Gange und muss gegen Hitler fallen. Bleibt für uns nur noch die Frage des Wann. (24.12.1939) Wir sind diese Weihnacht und dieses Silvester entschieden in böserer Lager als voriges Jahr, die Fortnahme des Hauses droht. Trotzdem ist mir wohler zumut als damals; es herrscht jetzt Bewegung, und damals stagnierte alles. Ich bin jetzt überzeugt, dass der Nationalsozialismus im kommenden Jahr zusammenbricht. Vielleicht werfe ich dabei zugrunde gehen -er aber wird bestimmt enden, und mit ihm, so oder so, der Schrecken. Ob wir freilich das Haus und den Kater retten?  (...) Die Pogrome im November 1938 haben, glaube ich, weniger Eindruck auf das Volk gemacht als der Abstrich der Tafel Schokolade zu Weihnachten." (31.12.1939)

"Judengesetze":
02.07.37: Auslandspässe nur noch in Sozialfällen
26.04.38: Abgabe des Vermögens
30.04.38: jüdische Ärzte sind nur noch "Krankenbehandler"
12.11.38: Verbot des Betreibens von Geschäften & Handwerksbetrieben, Verbot von Theater-, Kino, Ausstellung-, Konzertbesuchen
15.11.38: jüdische Kinder werden aus Schulen entfernt
23.11.38;  jüdische Betriebe werden aufgelöst
28.11.38: Ausgangssperre & Wegbeschränkungen
03.12.38 Führerscheinentzug; Ablieferung von Schmuck & Wertpapieren
08.12-38: Verbot des Studiums an Universitäten
30.04.39 Wegfall des Mieterschutzes
01.09.39: Ausgangssperre ab 21.00
23.09.39: Abgabe von Rundfunkgeräten


Hier geht es zur Vorstellung der Tagebücher 1940 - 1941
Hier geht es zur Vorstellung der Tagebücher 1935 - 1936
Hier geht es zur Vorstellung der Tagebücher 1933 - 1934


Mit besonderem Dank an Moppi Moopenheimer!