Freitag, 27. Februar 2015

Live bei der Fernsehsendung "WDR-Check"

Transparenz und Mitbestimmung - im Publikum des "WDR-Check"

Der Westdeutsche Rundfunk setzt mit seinem neuen Intendanten verstärkt auf die Meinungen und Kritik der Zuschauer, und sucht den Kontakt zum Publikum. Daher gibt es den sogenannten "WDR-Check", der am letzten Mittwoch in der mittlerweile 3.Ausgabe gesendet wurde. Live-Publikum und Zuschauer konnten für knapp zwei Stunden Fragen zu den verschiedensten Gebieten aus Fernsehen, Radio, Internet und Unternehmen direkt an die WDR-Chefetage richten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Bettina Böttinger, auf die ich an dieser Stelle kurz eingehen möchte:
Ich habe auf meinem Blog nicht viel über mich persönlich preisgegeben, aber dass ich einmal Fernsehjournalistin werden möchte. Frau Böttinger ist mein großes berufliches Vorbild, ich bewundere sie als Journalistin und Talkerin, aber vor allem als Persönlichkeit sehr! Zum ersten Mal getroffen habe ich sie im letzten Jahr nach einer Lesung im Rahmen des lit.Cologne Literaturfestivals in Köln, und direkt ein Praktikum in ihrer Firma für die Sommerferien ausgemacht. In dieser Zeit konnte ich die Arbeitsabläufe und Hintergründe ihrer wöchentlichen Sendung "Kölner Treff" nicht nur beobachten, sondern auch aktiv daran teilnehmen. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit zurück, und habe mich sehr gefreut, sie beim WDR-Check einmal wiedersehen zu können:
19.00: Maschinenhalle Gladbeck-Zweckel. Der dritte WDR-Check findet in der alten Bergbau-Halle im Ruhrgebiet statt. Eine tolle Kulisse und eine besondere Atmosphäre in dem alt anmutenden Gebäude, das innen zu einer modernen Eventhalle ausgebaut ist. Das Set für die Sendung steht, letzte Vorbereitungen laufen, so zum Beispiel die Live-Schalte für das Nachrichtenmagazin "Aktuelle Stunde". Das Publikum wird auf den Sitzreihen platziert. Es sind ca.170 Menschen gekommen, um dem Intendaten ordentlich auf den Zahn zu fühlen. Ich habe Glück, und bekomme einen Sitzplatz, direkt hinter der Bank, auf der Bettina Böttinger und die eingeladenen Gäste während der Sendung sitzen werden.
20:05: Tosenden Applaus für WDR-Intendanten Tom Buhrow und die Gastgeberin des Abends. Ein paar einleitende Worte zum Ablauf der Sendung und einige Verhaltensanweisungen und dann heißt es: "Willkommen zum neuen WDR-Check!" Ich freue mich riesig darauf.
20:30: Die erste offene Fragerunde ist im Gange, auch ich habe mich bereits gemeldet. Dann passiert es, und jemand nimmt mir meine Frage vorweg: Eigentlich wollte ich stellvertretend für meine Oma über die Veränderung bei der Musikauswahl des Schlager-Radiosenders WDR4 sprechen...
Die Sendung nimmt ihren Lauf, auch Hörfunkdirektorin Valerie Weber und Radiomoderator und "Zimmer frei"-Gastgeber Götz Alsmann leisten Herrn Buhrow mittlerweile Unterstützung bei der Beantwortung der kritischen und auf ganzer Linie herausfordernden Fragen.
21:45: Seit einiger Zeit hatte melde ich mich wieder: Es geht um das Thema "Verjüngung" im WDR", ein zweifelsohne ernstzunehmendes Problem, das in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für den Sender darstellen wird. Als leidenschaftlicher Talkshow-Fan will ich wissen, warum es Altersbegrenzungen im Sendungspublikum mancher Formate gibt. Ich werde nervös, glaube, nicht mehr innerhalb der Sendung dranzukommen. Zum Glück läuft die Sendung im Internet Livestream eine halbe Stunde länger, sodass ich die Hoffnung nicht aufgebe!
22:05 Und tatsächlich, Frau Böttinger hat meine Meldung wahrgenommen, und mich sogar wiedererkannt! Sie lächelt mir zu und fordert mich auf, meine Frage zu stellen.
Eine Antwort lässt nicht lange auf sich warten: das Jugendschutzgesetz macht mir einen Strich durch meine Rechnung! Nach 22 Uhr dürfen Minderjährige nicht mehr im Publikum sitzen. Das verstehe ich, aber am Beispiel des "Kölner Treffs" erkläre ich, dass es Sendungen gibt, die früher bereits ab 16 Jahren freigegeben waren. Woran das liegt, kann man mir nicht erklären, aber Tom Buhrow verspricht, mein Anliegen zu "checken". Glücklich, dass ich meine Frage doch noch loswerden konnte, genieße ich das Ende der Sendung.
22:10: Die Kameras sind aus, und viele Zuschauer drängen sich um Bettina Böttinger, Tom Buhrow und Götz Alsmann. Auch ich rede kurz mit Frau Böttinger, wir machen ein Foto zusammen, und ich fahre zufrieden und erleichtert nach Hause; um eine Erfahrung reicher und froh, dabei gewesen zu sein!







In zwei Wochen wird sie die Lesung der Autoren Hanns Zischler und Robert Seethaler im Rahmen der diesjährigen lit.Cologne moderieren, ich werde dabei sein und natürlich darüber berichten! 



Hier geht es zur ganzen Sendung in der WDR-Mediathek - meine Frage gibt's bei 1h 45 min zu sehen!





Montag, 23. Februar 2015

Gedanken zu "Sand im Getriebe"

Sand sein im zermahlenden Getriebe unserer Welt

"Seid unbequem, seid sand,
nicht öl im getriebe der Welt.
-günter eich

sand in jedem getriebe
wo der mensch zur nummer wird
zum Zahnrad
zum objekt
damit die Maschine
weiter unmenschliches produzieren kann
von dem wir leben
und an dem wir sterben

sand
da wo ein system mit uns rechnet
da wo es uns einkalkuliert hat
weil wir aufgehört haben zu denken

sand
da wo vom allgemeinen volksempfinden
von der allgemeinen meinung
von dem "man denkt so"
geredet wird

sand sein
auch auf die Gefahr hin,
zermahlen zu werden
-wie Christus"
Ulrich Schaffer


In einer Gesellschaft wie der heutigen sind die Menschen Teil eines großen Ganzes, ein Zahnrad in einem ineinandergreifenden System; wer anders handelt, als es die Norm vorgibt, wird ausgeschlossen vom Mainstream.  Der Text fordert auf, gegen den Strom zu schwimmen, sich nicht berechnen zu lassen, sich aufzulehnen gegen das allgemeine Denken, gegen die Ungerechtigkeit. In der heutigen Zeit ist diese Thematik aktueller denn je. In Zeiten in denen Mobbing, Ausgrenzung und Gruppenzwang eine große und bedrohliche Rolle spielen, sollten wir uns öfters aufgefordert fühlen, anders zu sein, zu denken, zu handeln, und sowohl unser als auch das Denken unserer Mitmenschen zu hinterfragen.

Beim Lesen haben mich Schlagworte wie „Maschinerie“, „unmenschliches produzieren“ und „allgemeine Meinung“ auch an das System des Nationalsozialismus erinnert. Der Staat hat Menschen aktiv dazu missbraucht, als Objekt der Ideologie der Verwirklichung der Weltanschauung zu dienen, ob als Zahnrad, als Katalysator oder nur als Schraube. Menschen waren Nummern und Zahlen, aber keine Menschen mehr. Die eigene Meinung zu äußern war dort unter Umständen tödlich, heute gehört es teilweise nur nicht mehr zum Mainstream-Denken und ist unangebracht.

Sand im Getriebe der Gesellschaft zu sein, sollte für alle Zeiten ein Zeichen und eine Warnung dafür sein, Willenskraft und den Verstand zu nutzen, um für die eigenen Ideale einzustehen und dafür auch entgegen der vorgegebenen Richtung zu kämpfen und sich von niemandem, auch nicht vom „allgemeinen Volksempfinden“ abhalten zu lassen.

Ein erschreckend aktueller Text, nicht nur auf Christen bezogen, denn auch ohne den letzten Vers spricht er ein Problem eines jeden Menschen unserer Gesellschaft an.


Sonntag, 22. Februar 2015

Tagebücher des Victor Klemperer 1935-1936

"Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten"

Die Nazis gewinnen bedrohlich viel Macht, die Judengesetzte und öffentliche Diskriminierung von Nichtariern wird immer stärker; besonders als im Sommer 1936 die Olympischen Spiele in Berlin zu Ende gehen, und das internationale Interesse abflacht. Der Freundeskreis der Klemperers verkleinert sich, einige Bekannte emigrieren ins Ausland, andere sind ihnen mit ihren politischen Gesinnungen fremd geworden. Die Entlassung Klemperers aus seinem Dienst an der Universität und die schwindende Hoffnung auf Publikationsmöglichkeiten seiner Bücher lassen die Angst vor der Zukunft und die finanzielle Not stetig wachsen. Trotzdem gedeiht ihr kleines Haus und der Garten weiter, es bleibt ein Symbol der Hoffnung auf eine Zukunft, und auch ein Auto soll ihnen ein wenig Unabhängigkeit und Freude wiedergeben; allerdings kommen immer mehr Probleme auf sie zu...


"Der eine Hörer im Französischen, die zwei Hörerinnen im Italienischen, die entsetzliche Geldnot und Unsicherheit, die steten Herzbeschwerden (...) die ewigen rheumatischen und Augenbeschwerden, das Kriechen meines 18. Jahrhunderts - jetzt bei Lesage - nichts ändert sich." (17.04.35)

In der Universität bleiben die Studenten fast gänzlich weg, kurze Zeit später wird er entlassen. Ohne sein volles Gehalt als Professor weiß er nicht über die Runden zu kommen. Die Verzweiflung ist allgegenwärtig, schwere gesundheitliche Probleme und das schleppende Vorankommen beim Schreiben, dazu die immer brutaler und verlogener herrschenden Nationalsozialisten setzten ihm und Eva zu.

"Ich arbeite langsam am 18.Jahrhundert, lese vor, lebe wie sonst, aber anfallweise, morgens vor allem, bei ausbleibender Post, packt mich die grässliche Angst. was wird? Wie sollen wir leben, dies Haus festhalten? Wie soll ich bei Evas Zustand Ersparnisse machen? Eva pflanzt, gärtnert, ich kaufe neue Gewächse, die Katzen brauchen jeden Tag ein halben Pfund Kalbfleisch, Preis 120 - 140, Schulden bei Prätorius, meine Hemden, Strümpfe, Stiefel, mein Anzug, zu Ende - es ist wahrhaftig die nackte Misere, wenn mein jetzt schon knappes Einkommen halbiert wird." (15.05.35)

Klemperer steht am Rande des Abgrunds aber baut weiter an seinem Eigenheim, als gebe es kein Morgen. Er kann und will sich und Eva nicht auch noch den letzten Lebensmut nehmen, und investiert sein Geld in den Hausbau, das er eigentlich für Schuldentilgung und sie Sicherung seiner Existenz ausgeben sollte. Die Angst um sein Gehalt nach der Pensionierung  lassen ihn jeden Tag zitternd zum Briefkasten gehen. Ringsherum blüht ihr neuer Garten auf.

"Schön gesagt. Aber wie soll ich auf Geratewohl hinaus? Und womit soll ich draußen "ein wenig verdienen"? Er kennt meine Lage nicht." (30.05.35)

Viele Freunde der Klemperers emigrieren ins Ausland, fliehen vor dem Naziterror in ein besseres Leben. Oft hören sie von Erfolgsgeschichten, von Neuanfängen, nur sie selbst sind an Deutschland gefesselt, und vereinsamen zunehmend. Klemperer sieht keine Chance in einer Zukunft im Ausland, Geisteswissenschaftler werden auch dort nicht mehr gebraucht. In Deutschland ist das eigenständige Denken längst nicht mehr erwünscht.

"Der Vertrag mit Prätorius zum Ausbau der beiden Veranden ist auf 1300 M abgeschlossen - alles, als wenn wir in gesicherter Lage wären. Manchmal ist mir dabei so furchtbar ums Herz, manchmal bin ich ganz ruhig, So ist wenigstens Eva annähernd zufrieden, und verkehrt könnt' ich's auf diese und auf jene Weise machen." (30.06.35)

Es ist ein Wechselbad der Gefühle - tagesformabhängig. Es gibt Tage, an denen es Eva und Victor gesundheitlich besser geht, und sie unbeschwerte Abende mit Freunden verbringen können; Aber die Tage, an denen sie Sorge und Krankheit zu erdrücken scheinen überwiegen. Finanziell handeln sie, als gebe es den nächsten Monat nicht, aber in diesen Tagen sind sie sich einer Zukunft tatsächlich nicht sicher.

"Ich muss mich an das Buch klammern, denn die Sorgen wachsen so, dass ich schon gar nicht mehr an sie denken darf und kann; es ist wie im Unterstand: Denkt man immerfort an den nächsten Einschlag, so wird man verrückt. " (21.07.35)

Klemperer konzentriert sich voll und ganz auf die Fertigstellung seines Buches über das 18.Jahrhundert, obwohl er weiß dass eine Publikation ins Deutschland so gut wie unmöglich ist. Trotzdem versucht er seine Probleme auszublenden, sich dem Schreiben hinzugeben.

"Wohin gehöre ich? Zum "jüdischen Volk", dekretiert Hitler. Und ich empfinde das von Isakowitz anerkannte jüdische Volk als Komödie und bin nichts als Deutscher und Europäer." (05.10.35)

Innere Zerrissenheit: Klemperer fühlt sich seinen jüdischen Leidensgenossen nicht zugehörig, wird ihnen aber von den Nationalsozialisten gemäß des Rassengesetzes zugeordnet. Mit den Freunden und deren politischen Gesinnungen gerät er zunehmend aneinander, vereinsamt regelrecht. Der Freundeskreis schrumpft bedrohlich, Eva und Victor bleiben allein zurück.


"Mein Buch frisst mich auf und hält mich am Leben und im Gleichgewicht. Segen der Schreibmaschine. (...) ich habe nun doch wieder nach monatelanger Pause eine Zeitung abonniert. Mir wird beim Lesen jedes Mal übel, aber die Spannung ist jetzt zu groß, man muss wenigstens wissen was gelogen wird." (05.10.1935)

Die Judenhetze wird immer radikaler, brutaler und ist omnipräsent. Überall sind Juden Anfeindungen ausgesetzt, in der Presse und im Ausland stellt sich Deutschland als friedvolles Geberland dar.



"Könnte ich nicht durch die Maschine mir gewissermaßen den Druck ersetzen, das völlige Loslösen und Objektivieren, dazu mir die Hoffnung geben, dass dieser ganz fertige und lesbare Text auch ohne mich und nach mir publiziert werden kann -  ich glaube, so ertrüge ich diese Zeit nicht, brächte jedenfalls nicht die Konzentration zum schreiben auf. In der Meinung über den Wert und die Originalität meiner Arbeit schwanke ich täglich mehrmals zwischen völligem Bejahen und völligem Verneinen. Die Herzbeschwerden werden immer intensiver, kein Tag an dem ich den Tod nicht vor Augen habe."


Klemperer investiert seine Energie und Kraft in die Fertigstellung seines Buches, obwohl er immernoch keine Hoffnung auf Veröffentlichung sieht - weder in Deutschland noch im Ausland. Oft zweifelt er an der Qualität seiner Erzeugnisse, zweifelt an der Sinnhaftigkeit seines Wirkens. Trotzdem schreibt er weiter, will seine Wissenschaft nicht einfach aufgeben - auch nicht in diesen aussichtslosen Zeiten.

"Wir sind in tragikomisch hohem Grad von unseren Katzen abhängig. Sooft Nickelchen leidend ist, verfällt Eva geradezu in Depressionen. Der Tierarzt hat für eine Weile geholfen; jetzt geht es dem Tier und Eva wieder schlecht." (19.11.1935)

Evas gesundheitliche Probleme setzten Klemperer zu, ihr geht es zunehmend schlechter. Nur das Gärtnern und die Tiere helfen ihr, die schwere Situation für eine Weile zu vergessen. Als die Katze jedoch letztendlich stirbt, droht Eva ihren Lebensmut ganz zu verlieren.


"Nie ist die Spannung zwischen menschlicher Macht und Ohnmacht, menschlichem Wissen und menschlicher Dummheit so überwältigend groß gewesen wie jetzt Radio, Führer - und der Stürmer und Reichskanzler, die Rassengesetze, der "Stürmer" usw." (02.12.1935)

Da Jahr 1935 geht zu Ende -  was hat es gebracht? Nach seiner Entlassung im Mai quälten Klemperer die Sorgen um sein Pensionierungsgehalt. Auf die Ernüchterung der Anwendung des "Überflüssigkeitsparagraphen", der ihm nur die Hälfte seines früheren Einkommens zugesteht, folgten mehrere finanzielle Engpässe. Der Hausanbau und das Auto forderten immer wieder ungeahnte Summen. Aber der Garten und die Fahrten lenkten besonders Eva von der Verzweiflung des Alltages und der der Ausweglosigkeit des Lebens ab. Aber auch der Führerschein und das Fahren haben ihm schwer zugesetzt und an seinen Nerven gezehrt.
Sein Buch ist fertig geschrieben - ohne Hoffnung auf Interesse von Verlagen. Immer mehr Freunde und Bekannte setzten sich ins Ausland ab, Klemperers aber bleiben in Deutschland - längst fühlen sie sich nicht mehr zu Hause, Judenhass und Hetzparolen bedrängen die Juden immer mehr, auch er verzweifelt an der Wendung, die das neue Deutschland nimmt. Trotzdem planen die Klemperers eine Investition in die Zukunft: Ein eigenes Auto und ein Führerschein soll ihnen ein Stück Welt und Hoffnung zurückgeben...

"Das Auto frisst mich auf, Herz, Nerven, Zeit, Geld. es ist nicht sosehr mein kümmerliches Fahren und die gelegentliche Aufregung dabei, nicht einmal die Mühe der Ein- und Ausfahrt, aber der Wagen ist nie in Ordnung, etwas versagt immer(...)"

Das Auto bereitet Klemperers nur Probleme und Sorgen. Er ist sich im Fahren sehr unsicher, immer wieder rammt er das Gartentor, oder vermeidet nur knapp einen Unfall. Auch ist der "Bock" ständig kaputt, die Reparaturen kann er sich finanziell eigentlich nicht leisten. Aber trotz allem ermöglicht der Wagen ihm und Eva immer wieder einen Ausbruch aus dem trostlosen Alltag, ein paar schöne Stunden ohne die Sorge um die eigene Existenz. Auf der einen Seite erdrücken ihn Geldnot und Angst, auf der anderen ist der Freiraum, der das Auto bietet für ihn unbezahlbar, 

 Vielleicht tritt doch irgendeine Wendung ein; und wenn nicht, dann gehen wir eben zu Grunde. Wir sind beide 54 und haben ein ganz inhaltsreiches Leben gehabt - ob es ein bisschen früher oder später endet, ist schließlich einerlei, wie viele Menschen kommen schon über die Fünfzig. Und Lächerlichkeit oder Schande? das sind doch Begriffe vergangener Zeit. Wir waren angesehene Leute. Was sind wir jetzt? Und was werden wir in zwei Monaten sein (...)? (16.07.1936)

Was die Zukunft des Dritten Reiches betrifft, so gehen die Meinungen der Freunde und Bekannten der Klemperers auseinander. Viele emigrieren, weil sie nicht an ein absehbares Ende des Hitler-Regimes festhalten. Aber der Glaube an eine positive Wendung und einen Putsch gegen Hitler lassen die Menschen bleiben. Doch der weit verbreitete Glaube, nach Hitler komme der noch üblere Kommunismus, lässt viele am Hitler-Regime festhalten.

"Wir sind eigentlich völlig proletarisiert, wesentlich proletarisierter als Gust - aber wir fühlen uns nicht als Proletarier und bewahren uns die Freiheit des Denkens." (18.07.1936)


Der Tagesablauf der Klemperers ist eintönig und gleich, Krankheit und Ermüdung quält beide. Dazu die finanziellen Sorgen, oftmals weiß Klemperer nicht einmal, wie er die nächste Arztrechnung zahlen soll. Sein Tagebuch ist sein Ausweg aus der Einengung. Er kann seine Gedanken frei aufschreiben, in diesen Tagen kann er niemandem mehr richtig vertrauen. Es ist ein großer Gegensatz zu seinem alten Leben als wohlhabender und geschätzter Professor, der ein sorgloses Leben führen konnte.


"Judengesetze":
15.09.35 Nürnberger Gesetze: Verbot von Mischehen; Verbot von Anstellung jüdischer Hausangestellten unter 45 Jahren
30.09.35: Beurlaubung jüdischer Beamten
07.03.36: Kein Reichstagswahlrecht

Hier geht es zur Vorstellung des Tagebuchs von 1940 - 1941
Hier geht es zur Vorstellung der Tagebücher von 1937 - 1939
Hier geht es zur Vorstellung der Tagebücher von 1933 - 1934


Montag, 9. Februar 2015

The Interview - Kinofilm

Zu viel ungenutztes Potenzial, zu wenig ernsthafte Dramatik
  • Regie: Evan Goldberg, Seth Rogen
  • Drehbuch: Dan Sterling
  • Produktionsland: USA
  • Erschienen: 2014
  • Länge: 112 Minuten
  • FSK: 12 Jahre



Handlung

Nord Koreas Oberster Führer Kim Jong Un plant einen Atomangriff auf die USA um seine Macht der Welt zu demonstrieren. Dave Skylark, Moderator einer Prominententalkshow, darf das erste exklusive Interview mit dem Diktator führen, und soll eine humanitäre Katastrophe verhindern, indem er ihn tötet. Sein Redakteur und er fliegen mit einen ausgeklügeltem Mordplan im Gepäck in die Volksrepublik und sind fest entschlossen, den Gräueltaten des machthungrigen Alleinherrschers ein Ende zu setzten. Doch als Skylark den gefürchteten Machthaber kennenlernt, wirft er seine Tötungsfantasien über Bord und verfällt Kims falscher Freundlichkeit....




Persönliche Meinung

Was eine seriöse Polit Satire hätte werden können, wurde zu einer vulgären Trash-Actionkomödie. Der Hacker Angriff auf Sony Pictures hat auf einen Skandal-Film neugierig gemacht, der eigentliche Streifen aber enttäuscht mit seinen erzwungen überzogenen Comedy-Elementen.
Die Person Kim Jong Uns wird spekulativ als sensibler, gebrochener, von Vaterkomplexen aus seiner Kindheit gezeichnetes Weichei dargestellt. Aus Unzufriedenheit und mangelndem Selbstwertgefühl beschließt er, die Vereinigten Staaten zu bombardieren. Leider nur nebenbei thematisiert der Film die Unterdrückung und die Not der Nordkoreaner, und die Vergötterung Kim Jong Uns in der eigenen Bevölkerung, die er schamlos ausbeutet. Die potenziell ernsthaften Szenen, die die existentiellen Probleme des totalitär kommunistischen Staates behandeln, werden viel zu oft von obszönen und unpassenden Handlungen überschattet. Protagonist Dave Skylark lässt sich wie ein kleines Kind von Kim Jong Un einlullen, die Berechnung des Machthabers wird dabei massiv verharmlost, beispielsweise als sie sich gemeinsam hemmungslos betrinken und sich mit Kims Harems Frauen vergnügen.
Der Film ist für eine Alterbegrenzung von 12 Jahren sehr gewalttätig und anzüglich: es werden Finger abgebissen sodass das Blut nur so sprudelt, Wachen erschossen und unverblümt sowohl über Intimitäten gesprochen, als auch ausgetauscht. Kim Jong Uns Charakter wird als lächerlich und weinerlich hingestellt; ein problematischer Status in der Bevölkerung mit dem vermeintlich weitverbreiteten Glauben, er habe keine Körperöffnungen, verharmlost und ins lächerliche, ja vulgäre gezogen.
Am Ende des Films wird Kim tatsächlich getötet, sein Lieblingslied "Firework" wird als langsame Ballade im Hintergrund eingespielt während die Kamera genüsslich filmt, wie er bei lebendigem Leib verbrennt. Katie Perry wird im Anschluss von den Scorpions abgelöst, die ihr revolutionäres "Wind of Chance" spielen, und eine Demokratische Pateichefin (nebenbei die Affäre des Redaktuers, vorher engste Vertraute der Kim Familie, und Mörderin von Dutzenden unschuldigen Wachen) zum neuen Staatsoberhaupt Nordkoreas gewählt.
Ich finde es äußerst problematisch und gewagt, einen ohnehin schon als gefährlich geltenden totalitären Alleinherrscher in solch einem Film dermaßen durch den Kakao zu ziehen. Ich bin enttäuscht von "The Interview", ich hatte mir mehr Ernsthaftigkeit und eine allgemein aufklärende Wirkung erhofft.